Sessionsbrief Frühlingssession 2013

Dies ist mein erster Sessionsbrief, den ich verfassen darf. Nach meiner ersten Session in Bern bin ich noch voll der Eindrücke, die da auf mich einwirkten. Auch als langjährige Kantonsrätin bin ich doch überrascht von der Dichte an Gesetzen, Berichten und Vorstössen, die in einer Session abgearbeitet werden („diskutiert“ kann man fast nicht sagen, weil die Wortmeldungen sehr beschränkt sind). Einige Schwerpunkte aus der Session:

 

Initiative „Ja zur Hausarztmedizin“

Nach langer Diskussion entschied sich der Nationalrat, die Iniative abzulehnen. Für diese Ablehnung stimmten praktisch zu 100 % FDP, CVP, BDP und GLP. Weil sich die SVP fast vollständig enthielt, ging die Vorlage bachab. Unverständlich, heisst doch Hausarztmedizin auf Französisch médecine de famille.

 

Agrarpolitik

Nach zähem Ringen ist die Agrarpolitik nun unter Dach. Die Direktzahlungen werden nun stärker auf ökologische Leistungen der Bauern ausgerichtet, was prompt der SVP zuwider lief, so dass sie fast einstimmig die Vorlage ablehnte. Für uns ist die Vorlage ein Fortschritt, weil sie die ökologische Produktion, Landschaftspflege und das Tierwohl fördert. Sie enthält aber immer noch Einzelinteressen der Bauern, für die sie im Rat stets eine Mehrheit fanden. Das Budget stockte der Nationalrat gegenüber dem Bundesrat nochmals um 160 Millionen auf (und nebenher muss der Bundesrat im Auftrag des Parlaments ein Sparpaket schnüren). So stehen total 13,83 Milliarden Franken für die nächste Vierjahresperiode bereit.

 

Cleantech-Initiative

Für die SP-Initiative gab es eine 4-stündige Debatte. Weil Initiativen die einzige Geschäftskategorie im Rat sind, bei welcher alle mitdiskutieren dürfen, habe ich die Gelegenheit gepackt und mich ebenfalls auf die RednerInnenliste setzen lassen. Es gab viele gute Voten. Einen Tiefpunkt setzte Köbi Büchler, der als Präsident des Interessenverbands der schweizerischen Kleinkraftwerksbesitzer eine Breitseite gegen Natur- und Heimatschutz schoss. Selbst der Bundesrat unterstützt den Inhalt der Initiative sowie auch Bürgerliche der Mitte, nur ist ihnen die Zeitspanne für die Zielerreichung (mindestens 50 % des gesamten Energiebedarfs stammt aus erneuerbaren Quellen) bis 2030 zu kurz. Das ist ein fadenscheiniges Argument. Es braucht ehrgeizige Ziele, sonst passiert einmal mehr wieder nichts und dazu gehören diese Fristen in der Verfassung. SP, Grüne und GLP stimmten geschlossen für die Annahme der Initiative, die restlichen Parteien geschlossen für die Ablehnung. Eine verpasste Chance.

 

Ladenöffnungszeiten

Die Mehrheit des Rates überwies eine Motion, welche unter dem Motto „Harmonisierung der Ladenöffnungszeiten“ lief. Eine unnütze Sache, regeln die Kantone dies heute doch in eigener Kompetenz und mit Mitwirkung der Bevölkerung durch Referenden. Obwohl die Bevölkerung nicht nur in St.Gallen sondern auch in verschiedenen anderen Kantonen eine weitere Liberalisierung mehrfach abgelehnt hat, glauben die bürgerliche Mehrheit des Parlaments und der Bundesrat daran, dass die Ausdehnung der Öffnungszeiten zu einem Wirtschaftsschub beim Detailhandel führen wird. BR Schneider-Amann betonte, dass damit insbesondere der Einkaufstourismus bezwungen werden kann. Das sind wohl kaum mehr als fromme Wünsche. Gleich nachgeschoben wurde noch eine Lockerung im Arbeitsgesetz, damit die Sonntagsöffnungszeiten ausgedehnt werden können. Die bürgerliche Mehrheit foutiert sich über die Meinung der Bevölkerung und stimmte beiden Motionen zu.

 

Kapitaleinlageprinzip

Die vorbereitende Kommission und der Bundesrat waren bereit, eine Motion des Ständerats zu überweisen, welche zwar am Kapitaleinlageprinzip der Unternehmenssteuerreform ll festgehalten hätte, jedoch dafür gesorgt hätte, dass die dadurch angerichteten enormen Steuerausfälle hätten kompensiert werden können. Die Bevölkerung hatte die Unternehmenssteuerreform ll knapp mit 50.5 % auf Anraten von BR Merz angenommen. Nachträglich erwies sich, dass die Ausfälle nicht einige Millionen Franken betrugen, sondern einige Milliarden! SVP, FDP, BDP und die grosse Mehrheit der CVP verweigerten sich jedoch dieser Korrektur und lehnten die Motion ab. Viele Worte aber keine Taten!

 

Volksinitiative „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“

Die Diskussion war emotional und zweigeteilt: Auf der einen Seite die BefürworterInnen der Initiative aus der SVP, die die GegnerInnen in platter Rhetorik als HelferInnen der TäterInnen bezeichneten. Auf der anderen Seite Voten von SprecherInnen verschiedener Parteien, die sehr differenziert an das Thema  herangingen und durchwegs die Problematik des Initiativtextes aufzeigten. Die Initiative schiesst über das Ziel hinaus, da sie weder die Art der Straftat benennt, noch die Schwere des Delikts berücksichtigt. Ein 19 Jähriger, der eine 15 Jährige zur Freundin hat und mit ihr einvernehmliche eine sexuelle Beziehung pflegt, fällt ebenso unter dieses Berufsverbot wie ein Pädokrimineller, der sich an Kindern vergeht. Das Parlament konnte sich nicht auf eine Version beim Gegenentwurf entscheiden und verwarf diese Möglichkeit fataler Weise ganz. Schlussendlich empfahl die Mehrheit aus SVP, BDP, weiter Kreise der CVP und einigen FDPlern gar noch die Annahme der Initiative, obwohl sie das Prinzip  der Verhältnismässigkeit verletzt, und damit in Konflikt mit Verfassung und Völkerrecht steht. Ein Sieg auf der ganzen Linie für die SVP. Der Gegenentwurf hätte die Thematik vollumfänglich aufgenommen und eine angepasste Rechtsordnung geschaffen. Gegen den reisserischen Initiativtitel wird es in einer Volksabstimmung ohnehin schwer sein, anzutreten. Wer ist denn schon für Pädokriminelle.

 

Einheitskrankenkasse

Die Mehrheit aus SVP, FDP, CVP und BDP hat eine Motion angenommen, die verlangt, dass die Initiative „für eine öffentliche Krankenkasse“ ohne Gegenvorschlag dem Volk rasch zur Abstimmung vorgelegt wird. Die bürgerliche Mehrheit verweigert sich dadurch einer vertieften Diskussion. Die SP wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass die Transparenz bei den Kassen erhöht wird, die Geldverschwendung für Kassenwechsel, Werbung und Marketing gestoppt wird und die Qualität der Versorgung für alle erhalten bleibt.

 

St. Gallen, 28. März 2013

Claudia Friedl, Nationalrätin