Sessionsbrief Frühlingssession 2015

Es ging um Ausschaffung, Überwachung, Einbürgerung, Wolf und Frankenstärke – und viele andere Dinge

 

Ausschaffungsgesetzgebung: Das Geschäft hat eine bewegte Geschichte: Nach der Annahme der Ausschaffungsinitiative durch das Volk arbeitete das EJPD eine Gesetzesvorlage zur Ausschaffung krimineller Ausländer aus. Der Nationalrat verschärfte die Vorlage enorm und übernahm praktisch den ganzen Inhalt der Durchsetzungsinitiative der SVP, obwohl über diese noch gar nicht abgestimmt worden ist: Ausschaffung in jedem Fall und ohne Prüfung der Verhältnismässigkeit oder von Härtefällen. Der Ständerat entfernte jedoch die schlimmsten Teile und fügte z.B. die Härtefallklausel wieder ein. In dieser Session war der NR wieder an der Reihe und folgte überraschenderweise dem Ständerat – unter lautem Protest der SVP. Das Gesetz ist knallhart, damit soll der Durchsetzungsinitiative der Wind aus den Segeln genommen werden. In der Schlussabstimmung hat die SP zugestimmt oder sich, so wie ich, enthalten, um ein Zeichen zu setzen. Bei 109:68 und 18 Enthaltungen kamen die Neinstimmen von der geschlossene SVP und einigen wenigen Bürgerlichen.

Zweitwohnungen: Auch dieses Geschäft startete sehr schlecht: Die Vorlage des Bundesrats ging bereits hart an die Grenzen der Verfassungskonformität. Auch hier verschlimmerte der Nationalrat nochmals deutlich, so dass das Gesetz eigentlich ein Witz wurde: Viele Paragraphen, keine Wirkung. Die Wende kam im Ständerat, nachdem mit der Initiantin ein Kompromiss ausgehandelt wurde, der doch ein wenig Biss hatte und auch Anträge unserer Seite aufnahm. z.B. dass touristisch bewirtschaftete Wohnungen als Zweitwohnungen und nicht als Erstwohnungen gelten. Der NR schloss sich in der Folge dem Vorschlag des SR an. Die Fraktionssprecher von SVP und FDP lobten den Vorschlag plötzlich als gelungenes, verfassungskonformes Gesetz. Nur die CVP fand die Kurve nicht. Vertreten durch 2 Walliser konnten sie nicht aufhören, den Niedergang der Bergregion zu beschwören. Bis heute haben sie nicht begriffen, dass das Kapital ihres Tourismus die Landschaft ist. Das Resultat war deutlich: 159:12 (=CVP):23E.

Nachrichtendienstgesetz: Das grosse Überwachungsgesetz spaltete die Gemüter, vor allem nach den Anschlägen von Paris. In der SP-Fraktion gab es zwei Haltungen: So stimmten 2/3 für Eintreten und hofften auf weitere Verbesserungen im Rat (in der Kommission kamen bereits 16 Anträge der SP durch). Mir gingen die Kompetenzen des Nachrichtendiensts deutlich zu weit: Telefone abhören, Privaträume verwanzen, Computer überwachen oder auch manipulieren. Zudem schanzte sich der Bundesrat die Kompetenz zu, in besonderen Lagen den Nachrichtendienst zur Wahrung weiterer wesentlicher Landesinteressen einzusetzen. Da geht es nicht mehr um Terrorismusbekämpfung, sondern um die Überwachung der eigenen Bevölkerung. In der NR-Debatte konnte keine einzige Verbesserung erzielt werden. Deshalb lehnten in der Gesamtabstimmung die SP, die Grünen und die Grünliberalen das Gesetz ab, die bürgerliche Mehrheit stimmte mit 119:65:5E zu. Vor 6 Jahren waren ähnliche Überwachungsmassnahmen noch abgelehnt worden, damals mit Hilfe der SVP, die das Individuum vor dem Staat schützen wollte. Jetzt schloss sich nur Lukas Reimann dem Nein-Lager an. Bei diesem Gesetz erwarte ich auch vom Ständerat keine Verbesserungen.

Finanzausgleich NFA: Beim Ressourcenausgleich zwischen den armen und reichen Kantonen ist v.a. die Höhe der Ausgleichsbeträge umstritten. Für Bundesrat und Geberkantone kann das Mindestausstattungsziel von 85 Prozent des schweizerischen Durchschnitts auch mit einer Kürzung der Mittel erreicht werden. Die Geberkantone wollen weniger bezahlen, klagen aber auf hohem Niveau, gehören doch einige von ihnen zu den grössten Steuerdumper im Land. Bei der Abstimmung im NR stimmte fast jede/r, ob links oder rechts, für den Vorteil des Wohnkantons. Einzig die GLP hat sich geschlossen für eine Entlastung der Geberkantone ausgesprochen. Mit 101 zu 88 Stimmen obsiegte der Kürzungsvorschlag des Bundesrats. Eine Ja-Stimme kam von mir, ungewollt, abgelenkt von den Genossen der Geberkantone. Der Ständerat ist zum Glück dem Nationalrat nicht gefolgt und hält weiter am höheren Betrag fest. Ich werde an der ausserordentlichen Maisession auf jeden Fall mithelfen, dass auf den Kanton St. Gallen kein Minus von jährlich 39 Mio. Fr. zukommt und gegen die Kürzung stimmen. Ob es gelingen wird, ist derzeit aber fraglich.

Aussenpolitik: Der alljährliche Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik ist eher eine Pflichtlektüre. Als Fraktionssprecherin im Rat habe ich mich auf die interessanten Themen TISA und TTIP konzentriert, obwohl sie kaum eine halbe Seite im Bericht eingenommen haben. Das ist bezeichnend: Der Bundesrat will nicht darüber informieren, was bei den Verhandlungen zwischen den rund 50 Staaten zur Liberalisierung der Dienstleistungen (TISA) läuft oder was seine Strategie ist, wenn das transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen der EU und der USA (TTIP) steht. Die einzige Auskunft ist jeweils: die Verhandlungen sind geheim.
Konzernverantwortung: Zuerst Jubel, dann eine herbe Enttäuschung: Eine Motion der Aussenpolitischen Kommission (auf Anregung der SP entstanden), welche von den multinationalen Unternehmen bei ihren Geschäften eine Sorgfaltsprüfungspflicht in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt verlangt, wurde mit 90:90 und Stichentscheid von Stephane Rossini angenommen! Jubel auf der linken Seite. Die Rechte machte lange Gesichter. Nach einer Stunde dann: Rückkommen, NR Darbellay hat falsch gestimmt. Es gab eine neue Abstimmung mit neuem Resultat: 86:93. Das intensive Lobbying der Wirtschaftsverbandsvertreterin Schneider-Schneitter hatte Erfolg. Der Frust auf unserer Seite war gross.

Zwei Beispiele erfolgreicher SP-Vorstösse:
Vereinfachte Einbürgerung: Ein Vorstoss von Ada Marra, mit welchem Kinder der dritten Ausländergeneration auf Antrag eingebürgert werden sollen, wurde gegen den Protest der SVP angenommen. Zugegeben, der Vorschritt ist nur klein, aber derzeit ist wohl politisch nicht mehr zu bekommen. 2004 lehnte das Volk die erleichterte Einbürgerung der 2. Generation ab. Die Vorlage geht nun noch in den SR und dann vor das Volk.
Homophobie: Der NR nahm einen Vorstoss von Mathias Reynard zum Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung mit 103:73 Stimmen bei 9 Enthaltungen an. Damit wird die Antirassismus-Strafnorm erweitert. Die Argumente der GegnerInnen aus der SVP und FDP, dass gesellschaftliche Toleranz nicht mit Strafnormen erreicht werden kann, verfingen nicht.

Wölfe: Dem Wolf geht es an den Kragen. Es liegen mehrere Forderungen auf dem Tisch bis hin zur ganzjährigen Bejagung und damit zur Ausrottung. Das heutige Wolfskonzept basiert auf dem Vorkommen von Einzeltieren. Es wird der heutigen Situation mit der ersten Rudelbildung nicht mehr gerecht. BR Leuthard hat bereits jetzt auf Druck die Jagdverordnung auf unzulässige Weise geändert. Um die Akzeptanz der Wölfe zu erhöhen, braucht es einen neuen Ansatz, das will die Motion Engler. BR Leuthard bestätigte auf meine Frage, dass die Berner Konvention zur Biodiversität weiterhin eingehalten und der leistungsbezogene Herdenschutz mit Hirt und Hunden als Prävention weiter gefördert wird, auch mit der Motion Engler. Der nun entstehende Gesetzesentwurf wird, sobald er vorliegt, genau analysiert und beurteilt werden.

Internationale Umweltpolitik: Bei diesem Thema tut sich die Ratsrechte, insbesondere die SVP, schwer. Getrieben vom Glauben, die Schweiz sei eine Insel, verneinen sie jede Zusammenarbeit oder gemeinsame Verantwortung im Bereich Umweltschutz. So lehnten sie die Ratifizierung des geänderten Kyoto-Protokolls zum Klima ebenso ab, wie den Rahmenkredit zur globalen Umweltfinanzierung. Die vernünftige Mehrheit verhalf beiden Anliegen aber klar zum Durchbruch.

Diskussion zur Frankenstärke: An einer 3-stündigen Sondersession wurde wenig Neues verkündet. Die bürgerliche Seite wiederholte die neoliberalen Forderungen, wie Steuererleichterungen, Abschaffen von Regelungen und Bürokratie, Deregulierung des Arbeitsmarkts. Interessant wäre zu wissen, welche dieser Forderungen wirklich mit der Frankenstärke zu tun haben. Diese Antwort gab es aber nicht, auch nicht von BR Schneider-Ammann, der eher ins gleiche Horn blies, während die SprecherInnen der Ratslinken mit Forderungen dagegen hielten, welche Arbeitsplätze in der exportierenden Industrie stärken sollten: Ein neuer faktischer Euro-Mindestkurs, Gelder für Innovation und Weiterbildung, keine Lohnsenkungen und die Weitergabe von tieferen Importpreisen. Fraktionsintern haben wir die einzige, neue Idee diskutiert, die Einführung einer Franken-Spekulationssteuer. Dazu wird jetzt ein parlamentarischer Vorstoss vorbereitet.

Nach der Session ist vor der Session. So beginnt bereits morgen die Kommissionsarbeit wieder.
Mit besten Grüssen

Claudia Friedl, Nationalrätin SP/SG