Sessionsbrief Wintersession 2015

Ein neues Parlament, ein neuer Bundesrat und neue Machtverhältnisse

Eine neue Legislatur beginnt: Das erstemal konnte ich bei einer Legislatureröffnung dabei sein. Und es war ein schönes Gefühl den Saal zu betreten, den neuen Platz zu suchen, die alten und neuen Kolleginnen und Kollegen zu begrüssen. Auf den ersten Blick in den Saal war sie nicht erkennbar: die Übermacht der rechten Seite, aber schon bald würden wir sie zu spüren bekommen.

Fraktion: Wir sind nun 43 in der SP Fraktion, nur 6 sind neu und 5 davon sind aus Zürich. In der Fraktion mussten wie immer zum Legislaturbeginn verschiedene Posten und die Kommissionen verteilt werden. Als Fraktionspräsidentin hatte sich Barbara gemeldet und angesichts der Ausgangslage, Sprachregion und Geschlecht, hatte ich keine Zweifel, dass sie gewählt würde. Es wurde aber Roger Nordmann gewählt. Das kam sehr überraschend. Bei der Kommissionsverteilung konnten lange nicht alle Wünsche berücksichtigt werden. Ich bin in der Aussenpolitischen Kommission geblieben. Ich mag die aussenpolitischen Themen sehr, sie sind extrem interessant, nur gibt es für uns selten etwas zu entscheiden. Mit den anstehenden Entscheiden in der Europapolitik ändert das wohl in nächster Zeit. Ich hätte auch gerne in der Umweltkommission oder der Staatspolitischen Kommission mitgearbeitet, wo mehr gesetzliche Grundlagenarbeit gemacht wird.

Bundesratswahlen: Gespannt war ich auf die Bundesratswahlen. Bekannterweise war das von der SVP präsentierte Dreier-Ticket nicht berauschend. Und es war von Anfang an klar: Mit jedem Kandidaten gewinnt die SVP: Mit Parmelin Einfluss in der Westschweiz, mit Gobbi die Vorbereitung der Übernahme der Lega ticinesi, mit Aeschi ein enges Band zu Blocher und zur Finanzwelt. Die Mitte war nicht im Stande, eine eigene Kandidatur zu präsentieren. So unterstützten wir das „kleinste Übel“ und schauten, dass Parmelin gewählt wurde.

Wintersession ist Budgetsession: Die Budgetdebatte war ein echter Krimi. Die Budgetierung (rund 67 Milliarden Franken) stand bereits unter einem harten Sparkurs. Der Bundesrat budgetierte im Voranschlag 2016 rund 3,8 Milliarden Franken weniger, als ursprünglich im Finanzplan vorgesehen war. Und dies, obwohl 2015 mit 1 Milliarde Franken der Überschuss deutlich höher ausfallen wird, als erwartet (nur 400 Millionen)! Die Rechte interessierte dies dennoch nicht und sie versuchte beim Personal noch mehr zu kürzen. Auch im Bereich Gleichstellung gelang den Rechten (mit Hilfe der Mitte) im ersten Durchgang eine Kürzung – einmal mehr eine Symbolhandlung, die aber dank dem Ständerat und einigen AbweichlerInnen bei den Bürgerlichen wieder korrigiert werden konnte. Am Schluss des ewigen Hin und Her triumphierten einmal mehr die Bauern mit einer Erhöhung ihrer Beiträge. Aber nur mit einem solchen Paket konnten die zusätzlichen Kürzungen beim Personal abgewendet werden. Wir „gewannen“ die Schlussabstimmung mit 92 (SP, Grüne, Teile der Mitte) zu 70 (SVP, FDP, GLP) Stimmen nur, weil sich 33 der Bauernvertreter aus FDP und SVP enthielten.

Flüchtlinge – Sonderdebatte: Die SVP verlangte eine Sonderdebatte zur Flüchtlingskrise. Als einzigen Vorschlag brachte sie die Wiedereinführung der systematischen Grenzkontrollen ein. Bei täglich 750‘000 Grenzübertritten ist dies ein Ding der Unmöglichkeit und auch früher konnte dies nie gewährleistet werden. Die Forderung nach mehr Grenzwächter stellten sie kurz nachdem sie sich im Budget für Sparübungen beim Personal eingesetzt hatten. Die Motion hatte aber im National- und Ständerat keine Chance. Dafür kamen weitere Anträge durch. So sollen Griechenland und Italien stärker unterstützt werden und die Hilfe vor Ort für die Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs soll verstärkt werden. Alle waren dafür, nur die SVP lehnte diese Anträge ab – statt Lösungen liefern, lieber Mythen bewirtschaften. Auch nicht unterstützen wollte die SVP eine Motion von Martina Munz, die spezifische Ausbildungsgänge für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene verlangt. Vor allem in Branchen mit Fachkräftemangel sollen Berufsatteste nachgeholt werden können. Die SVP stimmte geschlossen dagegen (112:75). An Lösungen ist diese Partei eindeutig nicht interessiert.

Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank AIIB: Die Schweiz möchte der asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank AIIB beitreten. Diese Bank unter der starken Führung von China will Infrastrukturprojekte im asiatischen Raum vorantreiben. Das will sie zusätzlich zur Weltbank und der asiatischen Entwicklungsbank tun (diese sind von der USA und Japan dominiert). Bundesrat Schneider-Ammann und die ganze bürgerliche Seite ist des Lobes voll, wie die Schweizer Wirtschaft davon profitieren wird, wenn die Schweiz Mitglied würde. So weit so gut. Nur, Umwelt- und Sozialstandards sowie arbeits- und menschenrechtliche Grundanforderungen an die Projekte als Bedingung für die Vergabe von Krediten sind noch nicht definiert. Welche Qualität diese haben werden, ist unbekannt. Der Beitrag der Schweiz, rund 140 Mio. Franken soll aus den Geldern der Entwicklungszusammenarbeit kommen, Geld, welches explizit für die Bekämpfung der Armut eingesetzt werden soll. Jetzt soll es für die Ankurbelung der Schweizer Wirtschaft gebraucht werden. Die Anträge der SP, diese beiden groben Fehler auszumerzen, wurden von den Bürgerlichen deutlich abgelehnt. Mit 135:53 / 6 Enthaltungen stimmten nur die SP und Grünen gegen den Beitritt.

Potentatengeldergesetz: Ich habe schon früher darüber berichtet: Der NR zog dem Gesetz im letzten Frühling die Zähne. Der SR hatte sie ihm wieder eingesetzt und der neue NR hat dem Gesetz mit Zähnen nun zugestimmt! Nur noch die SVP war geschlossen dagegen, und wollte, dass der Kreis der betroffenen Personen möglichst klein bleibt und eine Verjährungsfrist eingeführt wird – kurz: Das Gesetz sollte möglichst wenig Wirkung haben. Der Umschwung im NR hat weniger mit den Neuwahlen zu tun, als mit dem „zur Vernunft kommen“ von FDP und CVP.

Grüne Wirtschaft: Diese hat es schwer im Parlament. Mit ihr will man weg von der Abfallwirtschaft hin zur Kreislaufwirtschaft – etwas, das ohnehin kommen muss, weil wir extrem über den Verhältnissen leben, was die natürlichen Ressourcen betrifft. Nachdem der indirekte Gegenvorschlag, eine Revision des Umweltschutzgesetzes, bereits im September versenkt wurde, geschah dies nun auch mit der Initiative. Mit 128 : 62 wurde die Initiative deutlich abgelehnt. Nur die SP, Grünen, GLP und EVP sprachen sich dafür aus. Die Bürgerlichen sehen keinen Bedarf: Die Wirtschaft macht doch alles für die Umwelt freiwillig. Nun, da glaubt jemand an den Storch.

Internationaler automatischer Informationsaustausch IAIA: Das Steuerhinterziehungsgeheimnis (auch Bankgeheimnis genannt) ist auf internationaler Ebene passé. Am letzten Tag ihrer Amtshandlung konnte Bundesrätin Evelyne Widmer-Schlumpf diesen Erfolg nach langem, aufreibendem Kampf einfahren. Mit 120:68 (6E) war nur noch die SVP geschlossen dagegen.

Verabschiedung von Evelyne Widmer-Schlumpf EWS: Sie war eine sehr exakte, Dossier sichere Finanzministerin. Im Zentrum stand stets das ausgewogene Budget, aber sie hat immer genau erklärt, wer welche Vorteile bekommt, wenn das Parlament so oder anders entscheidet. Sie ist ein Verlust, vor allem wenn man bedenkt, dass nun Ueli Maurer die Finanzen lenken soll.

Armeereform: Noch einmal ist die Armeereform ins Parlament gekommen, nachdem die erste Vorlage durch eine unheilige Allianz von SP und SVP versenkt worden war. Jetzt hatten wir keine Chance mehr, die SVP akzeptierte nun eine 100‘000 Mann Armee, konnte aber das Budget auf 5 Milliarden festsetzen. Unsere Anträge auf 80‘000 Mann und 4.4 Mia. wurden nur noch von den Grünen unterstützt. Dieses Geschäft ist endgültig erledigt.

AHV plus: Die Altersvorsorge ist in Bewegung. Im Herbst hat der Ständerat eine Reform der 1. und 2. Säule vorgelegt. Jetzt ging es um die Initiative des Gewerkschaftsbunds: Eine 10 % höhere AHV-Rente für alle. Die freie Debatte, jedes Ratsmitglied, das sich vorgängig anmeldet, darf 5 Minuten sprechen, dauerte rund 4 Stunden. Viele SPlerInnen haben die Möglichkeit genutzt, ein starkes Zeichen für die AHV und gegen die ewigen Schwarzmaler, die der AHV stets den Untergang prognostizieren, nur damit sie dieses Sozialwerk nicht als grössten Erfolg anerkennen müssen. Die Schlussabstimmung fiel deutlich aus: 139:53 / 1E gegen die Initiative. Nur die SP und Grünen stimmten ihr zu.

Steuerung der Ärztedichte: Bis Mitte 2016 gibt es eine befristete Regelung für die Kantone, das Angebot im ambulanten Bereich zu steuern. Dies sollte nun dauerhaft installiert werden, indem die Kantone bei einer Überversorgung die Zulassung von Leistungserbringern beschränken und bei einer Unterversorgung Fördermassnahmen treffen können. Die rechtsbürgerliche Mehrheit versenkte das Geschäft jedoch in der Schlussabstimmung mit 96:97 (1E). So hat einmal mehr die Krankenkasse-Lobby obsiegt. Denn, gibt es keine Regulierung, können die Krankenkassen mit ihrer alten Forderung kommen, den Vertragszwang aufzulösen und nur noch mit denen von ihnen ausgesuchten ÄrztInnen zusammenzuarbeiten. Die Wahlfreiheit für die PatientInnen wäre damit vorbei.

Krankenkassen: Die Krankenkassen-Lobby setzte sich gleich nochmals durch: Ein Vorstoss aus unseren Reihen wollte, dass endlich beim Risikoausgleich der Krankenkassen eine Trennung von Grund- und Zusatzversicherung vorzunehmen ist. Die SP erhielt nur von den Grünen Unterstützung.

Anstossfinanzierung von familienergänzenden Kinderbetreuungsplätzen durch den Bund: Ein schon altes, familienfreundliches Anliegen, welches jetzt durch eine Standesinitiative des Kantons Solothurn wieder auf das Tapet kam. Die Kommission empfahl es zur Annahme, aber die Rechte aus SVP und einer ziemlich geschlossenen FDP sowie einzelne aus der Mitte schossen das Projekt mit 84:98 ab. Von wegen Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Komatrinker sollen Spital und Ausnüchterungszelle selber bezahlen: Damit sollten die Jungen erzogen werden. Die Kommission stellte aber fest, dass das Durchschnittsalter der Komatrinker bei über 40 Jahren liegt. Es ging der SVP, die sich mächtig ins Zeug legte, vor allem darum, dass es eine Entsolidarisierung in der Krankenversicherung gibt: heute die Komatrinker, morgen die Fettleibigen und andere, die „selber Schuld“ sind. Nur mit 97:85 konnte diese Entwicklung abgewendet werden.

Raserdelikte: Ein Herz für Raser. Ein CVPLer sorgt sich darüber, dass es bei der Verurteilung von Rasern zu wenig Spielraum gebe, um die individuellen Umstände beim Delikt berücksichtigen zu können. Und siehe da, mit 113:72 wurde die Motion von bürgerlicher Seite unterstützt. Die ganze SVP ist plötzlich für die individuelle Abwägung bei richterlichen Entscheiden, wohingegen sie bei der Ausschaffung der straffälligen Ausländer kein Pardon kennt und eine Einzelfallbetrachtung kategorisch ablehnt.

Ende der Session: Die Session ist zu Ende und die Akten können wenigstens über die Festtage verstaut werden. Im neuen Jahr erwarten uns recht schnell grosse Herausforderungen. Am 28. Februar finden die Erneuerungswahlen für den Kantonsrat und die Regierung statt. Es ist wichtig, dass die Linke sehr stark abschneidet. Es stehen auch verschiedene Sachabstimmungen auf nationaler Ebene an: Spekulationsstopp-Initiative, 2. Gotthardröhre, Durchsetzungs-Initiative und die CVP-Ehe-Initiative. Von diesen 4 Themen scheint die Durchsetzungs-Initiative in den Hintergrund gedrängt zu werden. Sie darf aber auf keinen Fall angenommen werden. Die Initiative geht in ihrem detaillierten Deliktekatalog (der übrigens in die Verfassung geschrieben würde) noch weiter als die vom Volk bereits angenommene Ausschaffungs-Initiative der SVP. Die Durchsetzungs-Initiative lässt keine Einzelfallbeurteilung zu, sondern nur noch Automatismus. Dies verstösst gegen die Grundrechte und ist unserem Rechtsstaat nicht würdig. Es gibt bereits ein vom Parlament beschlossenes Umsetzungsgesetz der Ausschaffungs-Initiative. Darin sind alle Forderungen der SVP aufgenommen, es gibt aber eine Härtefallklausel. Deshalb lehnt die SVP es ab. Die neue Initiative muss unbedingt abgelehnt werden. Da braucht es noch viel Einsatz.

 

Jetzt aber doch: Euch allen schöne Festtage!

Claudia Friedl