Die Initiative zur Ernährungssicherheit ist unnötig
Die Initiative des Bauernverbandes tönt sympathisch, die Unterschriften dafür wurden auch rasch gesammelt. Uns Schweizerinnen und Schweizer ist die Landwirtschaft nahe, und wer ist schon gegen Ernährungssicherheit – niemand. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese Initiative – schillernd, aber ohne neuen Inhalt – als eine Seifenblase, oder aber es sind Absichten darin versteckt, die man nicht erkennen kann und die auch die heutige Diskussion nicht erhellt. Vor ziemlich genau zwanzig Jahren hat die Bevölkerung den Landwirtschaftsartikel, Artikel 104, mit rund 80 Prozent Zustimmung in die Verfassung aufgenommen. Darin sind die Versorgungssicherheit, eine ökologische Landwirtschaft und mehr Markt enthalten. Darauf hat man systematisch die heutige Agrarpolitik aufgebaut. Die schweizerische Bevölkerung erwartet heute von der Landwirtschaft, dass sie in Einklang mit der Natur und in nachhaltiger Produktion gesunde Nahrungsmittel herstellt. Dafür ist sie auch bereit, die inländische Landwirtschaft durch Subventionen und Schutzzölle zu unterstützen. Der Mehrwert des neuen Artikels in der Bundesverfassung, wie ihn diese Initiative vorsieht, ist nicht ersichtlich. Ja, er führt eigentlich nur zu Verwirrung, vor allem weil uns die Initianten auch heute nicht sagen können, was sie davon überhaupt erwarten.
Was will der Bauernverband nun? Noch mehr produzieren? Trotz des Bevölkerungswachstums ist der Selbstversorgungsgrad in der Schweiz während der letzten Jahre und Jahrzehnte nicht gesunken, sondern konstant bei 60 Prozent geblieben. 2015 wurde so viel produziert wie noch nie. Den Böden wird also schon heute sehr viel abgerungen, das zeigen die rekordhohen Importe von Dünge- und Futtermitteln. Der Import von Kraftfutter ist auf eine Million Tonnen pro Jahr angestiegen. Die Böden werden überdüngt, und viele Schweizer Gewässer sind mit Pestiziden belastet, wie eine erschreckende Studie der EAWAG letztes Jahr zutage gebracht hat.
Da ist Handlungsbedarf, das hat auch Herr Walter von der SVP bestätigt, aber dazu braucht es keinen neuen Verfassungsartikel. Die Frage bleibt, was der Bauernverband mit dieser Initiative will. Will er sich gegen den Verlust von Kulturland stemmen? Das ist ein wichtiges Anliegen, welches ich voll und ganz unterstütze. Immer noch werden rund 3000 Hektaren Kulturland jährlich zubetoniert. Um dagegen vorzugehen, wurde die zweite Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes letztes Jahr in die Vernehmlassung geschickt. Diese Revision hat als Schwerpunkt den Schutz von Kulturland und das Bauen ausserhalb der Bauzonen. Das ist ein Steilpass für den Bauernverband. Der Bauernverband hat sich aber in der Vernehmlassung dazu negativ geäussert. Er torpediert diese zweite Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes. Ist es, weil Einzonungen unbestritten ein gutes Geschäft sind? Pro Jahr gewinnen die Bauern gemäss einer Berechnung des ARE rund 2 Milliarden Franken damit. Statt Kulturland zu schützen, gibt es andere Interessen. Der Bauernverband hat z. B. eine Motion unterstützt, welche verlangt, dass Bauern beim Verkauf von Boden privilegiert besteuert werden. Diese Zeichen verwirren einfach. Der neue Verfassungsartikel steht einsam in der Landschaft, wenn man ihm diese Haltung gegenüberstellt.
Ich möchte noch etwas zu den Gewässern und zum Raumbedarf der Gewässer sagen: Dafür werden pro Jahr 25 Hektaren gebraucht. Ich ziehe hier einen Vergleich zum Verbauen von Land: 3000 Hektaren werden verbaut.
Es gibt in der Landwirtschaftspolitik noch einiges zu tun, das ist unbestritten. Aber dazu braucht es keinen neuen Verfassungsartikel, sondern die konsequente Weiterentwicklung des eingeschlagenen Weges mit mehr Ökologie und Nachhaltigkeit und einem stärkeren Schutz der Böden, Gewässer, des Kulturlands und der Kulturlandschaft. So hat die Schweizer Landwirtschaft eine Chance, so wird sie von der Bevölkerung getragen. Die Initiative wirft viele Fragen auf, ohne Antworten zu geben.
Sagen Sie deshalb Nein zu dieser Initiative.