Wahlen beginnen lange vor dem Wahltag – das weiss auch Erdogan
Persönlicher Bericht zur Wahlbeobachtung am 24. Juni 2018 in der Türkei
Die von Erdogan geschaffene Ausgangslage für die Wahlen in der Türkei war weit davon entfernt, fair zu sein. Die Wahlen fanden unter den widrigsten Rahmenbedingungen statt. Im Wahlkampf war die Opposition krass benachteiligt, 90 Prozent der Medien werden von der Regierung und ihrer Partei AKP kontrolliert. Der HDP Regierungskandidat Selahattin Desmirtas ist seit 2 Jahren inhaftiert, ein Wahlkampf war da nicht möglich. Aber auch sonst war im Vorfeld der Wahlkampf für die Konkurrenz schwierig. Der von Erdogan verhängte Ausnahmezustand schränkte die Versammlungsfreiheit stark ein. Diskussionsdebatten im Fernsehen wurden keine abgehalten, es war eine Einmannshow. Zudem wurde das Wahlrecht entgegen internationalen Regeln angepasst, so dass auch ungestempelte Couverts gezählt werden durften und die Hürde für den Einzug ins Parlament bei unerhörten 10 Prozent lag. Damit wird die Politikvielfalt in unakzeptabler Weise eingeschränkt. Diese Missstände im Wahlkampfprozedere wurde von den Langzeitbeobachtern der OSZE untersucht und bewertet. Das Fazit ist klar: Unter solchen Bedingungen kann keine Wahl als fair bezeichnet werden.
Die KurzzeitwahlbeobachterInnen (STO), zu denen ich gehörte, haben den Auftrag, den Wahlablauf am Wahltag von der Öffnung der Lokale bis zur Schliessung und Auszählung sowie dem Zusammenzug der Ergebnisse im Distrikt genau zu protokollieren. Ich wurde der Provinz Kahramanmaras im Süden des Landes zugeteilt. Die Provinz wird dominiert von der gleichnamigen Hauptstadt mit über 500‘000 Einwohnern. Viele Dörfer in den ländlichen Gebieten sind kurdisch. Die KurdInnen machen etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus.
Wir besuchten alle Wahllokale unangemeldet, von den Vorbereitungen um 7 Uhr morgens bis zur elektronischen Erfassung der Wahlergebnisse im Distriktzentrum, welche bis fast 1 Uhr am Folgetag dauerte. Ich nehme es vorweg: In den drei sehr ländlichen Distrikten, die wir besuchten, wurde das Wahlverfahren fast immer sachgemäss abgewickelt. Die Couverts und Wahlzettel waren gestempelt, die Identität der WählerInnen wurde festgestellt, die Wählerlisten mit Unterschriften abgehackt und die Abstimmungskabine liess ein geheimes Wählen zu. Ich war beeindruckt, wie die lokalen Wahllokalteams, zusammengesetzt aus Männern und Frauen verschiedener Parteien, trotz aller Widrigkeiten für einen korrekten Verlauf sorgten.
Auffällig war die hohe Präsenz von Sicherheitskräften, die vor den Lokalen herumstanden. Eine Art der Machtdemonstration der herrschenden Regierung. In einem von uns besuchten Wahllokal sass ein Sicherheitsmann hinter der Wahlurne – ein krasser Verstoss, denn Uniformierte sind im Wahllokal nicht erlaubt.
Beobachtungsteams in anderen Regionen trafen zum Teil ungenügende Verhältnisse an. In sechs Prozent der von den OSZE-WahlbeobachterInnnen besuchten Lokale wurde das Verfahren als schlecht bewertet. Teilweise wurde den Teams der Zugang verwehrt. Während wir im Distriktbüro nach dem Zusammenzug aller Ergebnisse ohne Diskussion ein Originalprotokoll erhielten, durften andere Teams nur aus Entfernung an der Auszählung teilnehmen und erhielten keine Protokolle.
Wählende in den Dörfern sagten einem manchmal auch, dass das Leben schwierig sei und die Leute unter Druck stünden. Was sie genau damit meinten, sagten sie nicht. Sie hofften auf einen Wechsel – der nun nicht stattfand. Die Provinz wählte mit grosser Mehrheit AKP.
Es gäbe noch viele Episoden zu erzählen. Ich bin überzeugt, dass die internationale Beobachtung von Wahlen gerade in unsicheren Kontexten die Prozesse verbessert und deshalb nützlich ist. In einigen Tagen wird es noch einen offiziellen Schlussbericht der OSZE geben, in dem die Daten weiter aufgearbeitet sein werden.