Sessionsbrief Herbstsession 2018
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Es war eine Session in der sozialpolitisch wichtige Themen behandelt wurden, der Nationalrat den Bundesrat bei den Waffenexporten zurückpfiff und viel über die künftigen Bundesrätinnen spekuliert wurde.
Sozialversicherungen und Steuern
Der Nationalrat hat dem Steuer-AHV-Deal zugestimmt. Dabei werden zwei Vorlagen miteinander verknüpft. Mit der Steuerreform werden die Steuerprivilegien für internationale Firmen endlich abgeschafft. Gleichzeitig werden einige international anerkannte Steuerabzüge eingeführt, damit die Unternehmen trotzdem in der Schweiz bleiben. Viele Kantone haben bereits angekündigt, dass sie die Gewinnsteuern für alle Unternehmen zum Teil stark senken werden. Das wird zu massiven Steuerausfällen führen. Um das abzufedern, werden einige Fehler aus der Unternehmenssteuerreform l und II korrigiert. So werden die Dividendenbesteuerung, das Kapitaleinlageverfahren, die Abzüge für Forschung und Entwicklung, die Patentbox und die zinsbereinigte Gewinnsteuer alle gegenüber der USR lll abgeschwächt. Das ist ein Fortschritt gegenüber der URS lll, aber klar hätten wir uns deutlich mehr gewünscht. Unsere Anträge fanden keine Mehrheiten. Als sozialer Ausgleich zu den prognostizierten Steuerausfälle soll die AHV mit einer besseren Finanzierung für die nächsten Jahre saniert werden. Einerseits steuert der Bund rund 800 Mio. Franken jährlich mehr bei, andererseits werden die Lohnbeiträge leicht erhöht. Dies hat den Vorteil, dass die hohen Einkommen deutlich mehr einzahlen als die tiefen. Diese Finanzierung ist denn auch viel sozialer als eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, wie sie derzeit zur Debatte steht. Dass sich gerade die SVP gegen diesen Schritt wehrt, zeigt, welchem Klientel sie sich verpflichtet fühlt. Fakt ist, dass 93% der Leute schlussendlich mehr Geld aus der AHV bekommen, als sie je einbezahlt haben. Gegen die Erhöhung der Lohnprozente sprach sich auch die GLP und einzelne FDPler aus, die SP war klar dafür. Auch die Verknüpfung der beiden Vorlagen war umstritten und wurde nur hauchdünn mit 101 zu 93 angenommen. Das Ergebnis der Schlussabstimmung war 112:67 und 11 Enthaltungen. Die SP stimmte 36:2 (7E.). Grüne, GLP, BDP und ein Grossteil der SVP lehnten das Paket ab. Der Abstimmungskampf, weil ein Referendum scheint bereits sicher, wird nicht einfach werden, das steht jetzt schon fest.
Dank dem Ständerat kam es bei der Reform der Ergänzungsleistungen, die zum zweiten Mal zu uns in den Rat kam,wenigstens in einem wichtigen Punkt eine Verbesserung. Die Ansätze für die Mieten werden erhöht, damit die Bezügerinnen und Bezüger ihre Mietkosten decken können. Seit über 10 Jahren wurde da nichts mehr gemacht, obwohl alle wissen, dass die Mieten in diesem Zeitraum stark gestiegen sind. Es sind noch nicht alle Differenzen ausgehandelt. So besteht immer noch Hoffnung auf den Ständerat, der eindeutig sozialer unterwegs ist, als der Nationalrat. Insbesondere bekämpfen wir die EL-Kürzungen für Personen, die früher ihr Kapital verbraucht haben. Das sind Eingriffe ins Private, die wir nicht unterstützen wollen.
Ungebremst setzt sich die SVP gegen wirtschaftlich Schwächere und AusländerInnen ein. So schlug sie vor, die erleichtere Einbürgerung der 3. Generation Kindern von Sozialhilfeempfängern zu verwehren. Das Anliegen wurde klar gegen die SVP mit 112 zu 67 Stimmen abgelehnt. Es ist nur ein Beispiel dafür, wie sich die SVP in unzähligen Vorstössen und Anträgen gegen die wirtschaftlich Schwächeren einsetzt.
Und der Neoliberalismus treibt auch weiterhin seine Blüten. So will die Mehrheit des Nationalrats Unternehmen erlauben, ausländische Bussen von den Steuern abzuziehen. Steuergeschenke für Fehlverhalten – viel absurder geht es wirklich nicht mehr. Unterstützt wurde diese Idee durch die ganze FDP, die grosse Mehrheit der SVP und Einzelnen aus der CVP. Noch kann der Ständerat das Ganze korrigieren.
Armee und Sicherheit
Keine Chance hatten wir von der linken Seite mit der Forderung, auf die Beschaffung von Schutzwesten in dem vorgeschlagenen Umfang, zu verzichten. Ob im Büro, in der Küche oder im Kampf eingesetzt, jeder Armeeangehörige braucht solche Westen. Sie sind vor allem eins: teuer, ihr Nutzen fraglich. Bei der Armee ist halt einfach genug Geld da, das ausgegeben werden muss, Geld, das an anderen Orten fehlt. Mit 128 zu 63 Stimmen wurden die Schutzwesten genehmigt.
Der Nationalrat ist vom Konfrontationskurs mit der EU beim neuen Waffenrecht abgekommen und hat bei den letzten Differenzen mit dem Ständerat nachgegeben. So ein Theater, mit Referendumsdrohung, wegen absolut unwesentlichen Anpassungen, ist wirklich daneben. Die SVP geht einmal mehr als Verliererin vom Platz.
Erfreulich war, dass der Nationalrat eine Motion mit 97 zu 88 Stimmen angenommen hat, welche die Waffenexportkompetenz dem Bundesrat entziehen will und sie auf Gesetzesstufe verankern will. Gegen die Motion waren fast die ganze SVP und ein Grossteil der FDP. Der Bundesrat hat in letzter Zeit von sich reden gemacht, weil er auf Druck der Waffenlobby das Exportgesetz lockern will und Waffen auch in Bürgerkriegsländer exportieren will. Die Humanitäre Tradition der Schweiz scheint ihm ein Fremdwort zu sein. Noch muss der Ständerat darüber entscheiden. Lehnt er die Motion ab, wird die Volksinitiative gegen die Lockerung der Waffenexporte lanciert, die auch von der SP unterstützt wird.
Erfolglos waren wir bei der Forderung nach einer Beschränkung der Armeeausgaben auf vier Milliarden ab 2021 und die Investition der freiwerdenden Mittel in die internationale Prävention und Bewältigung von Krisen Die Motion aus SP Kreisen wurde nur von links-grün unterstützt.
Gesellschaft
Der Nationalrat hat sich nun endlich durchgerungen im Gleichstellungsgesetz eine minimale Massnahme gegen die Lohndiskriminierung der Frauen durchzusetzen. Künftig sollen Firmen Lohnanalysen durchführen. Die Bürgerlichen sperrten sich lange dagegen und schwächten die Voraussetzungen stark ab. So müssen nur Firmen mit über 100 Vollzeitstellen, ohne Lernende gezählt, eine Lohnanalyse durchführen. Dadurch sind nur noch 0.85% der Unternehmen betroffen. Die SVP und FDP wollten im gleichen Zug unter dem Begriff der Gleichstellung auch noch eine Erhöhung des Frauenrentenalters ins Gesetz reinschmuggeln. Das ist ihnen aber mit 109 zu 84 Stimmen nicht gelungen. Alles in Allem sind die neuen Regeln sehr, sehr schwach, aber ein Anfang.
Nichts wissen wollte der Nationalrat einmal mehr von einem Cannabis-Gesetz. Er hat einen Vorstoss der Grünen mit 104 zu 86 Stimmen abgelehnt, welcher eine Legalisierung zur Folge gehabt hätte inkl. Präventionsmassnahmen. Und das obwohl faktisch über 100‘000 Personen in der Schweiz kiffen. Hingegen will er nun doch wissenschaftliche Studien zu Cannabis ermöglichen und hat knapp mit 98 zu 92 Stimmen zwei Verstösse angenommen, welche einen Experimentierartikel im Betäubungsmittelgesetzt verankern wollen. Die wissenschaftlichen Studien sollen innovative Regulierungsansätze für den Cannabiskonsum ermöglichen.
Gesellschaftspolitisch bewegt sich doch immer wieder etwas in unserem Land. So soll es neu auch in der Schweiz ein neutrales Geschlecht geben. Dies gibt es schon in vielen anderen Staaten. Gegen den Willen der SVP hat der Nationalrat eine Prüfung der Einführung dieses Geschlechts gutgeheissen und zwei Postulate aus Grünen/SPKreisen angenommen. Positiv ist auch, dass die Anti-Rassismusnorm nun auch bei Diskriminierungen gegen die Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung gelten soll. Der Nationalrat hat eine Motion aus der SP mit 118 zu 60 Stimmen angenommen. Noch muss der Ständerat darüber entscheiden. Ebenfalls angenommen hat der Nationalrat eine Motion aus der SP, dass Täterinnen und Täter auch dann wegen einer Vergewaltigung verurteilt werden können, wenn das Opfer männlich ist. Heute definiert das Gesetz Vergewaltigung als Nötigung einer weiblichen Person. Die Realität sieht eben anders aus, jetzt fand das endlich Eingang in die Gesetzgebung.
Gescheitert sind wir hingegen mit der Forderung nach einer Anschubfinanzierung für Frauenhäuser, wie sie für Kitas existiert. Die Motion aus der SP wurde abgelehnt, auch grossmehrheitlich von der CVP. Das ist eine Enttäuschung, zeigt aber einfach, dass die Problematik von den Bürgerlichen nicht wirklich ernst genommen wird.
Auch um AusländerInnen ging es in verschiedenen Vorstössen. Wer in der Schweiz einen Masterabschluss macht, soll auch hier arbeiten können, auch wenn er aus einem Drittstaat kommt. Dies beschloss der Nationalrat, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Bei Flüchtlingen will man aber wieder einmal eine Verschärfung durchziehen. Die Reisemöglichkeiten sollen weiter eingeschränkt werden. Vor allem auch bei Heimreisen wegen besonders dringenden Umständen, z.B. wenn die eigene Mutter im Sterben liegt und es die letzte Chance ist, sie noch einmal zu sehen, soll daraus der Verlust des Flüchtlingsstatus resultieren. Dass diese verschärfte Regelung, die ja nur in sehr wenigen Fällen zur Anwendung kommt, sogar von der CVP unterstützt wurde, ist unverständlich. Aber in Bezug auf die Flüchtlinge gibt es nur eine Linie: Verschärfungen.
Klima und Umwelt
Klimapolitik wird bis heute zu wenig ernst genommen, deshalb fehlen griffige Massnahmen. Wir haben jetzt ein Vorstösse-Paket eingereicht. So verlangen wir beispielsweise Massnahmen im Finanzmarkt und bei der Schweizerischen Nationalbank, damit diese nicht in klimaschädliche Anlagen investieren. Ich haben zwei Motionen eingereicht: Die Einführung einer Klimaabgabe auf Flugtickets und das Ergreifen von Massnahmen gegen die fortschreitende Erhitzung von Fliessgewässern (z.B. Abwärme-Management von AKWs).
Zudem habe ich in der Session den Bundesrat gefragt, warum in der Schweiz verbotene Insektizide hergestellt und in arme Regionen exportiert werden dürfen. So wird das verbotene Mittel Polo auf Baumwollfeldern eingesetzt. Gemäss Public Eye sind viele Bauern deswegen erkrankt oder gar gestorben. Der Bundesrat will den Export nicht generell verbieten, sondern verlangen, dass das einführende Land explizit erklärt, dass es diesen Stoff will. Diese Antwort hat mich schockiert, ist doch einfach krass. Aber auch ein Grund mehr, warum es die Konzernverantwortungsinitiative unbedingt braucht.
Auf der Zielgerade abgeschossen wurde eine Motion, die das Palmöl aus den Freihandelsabkommen mit Malaysia und Indonesien ausnehmen will. Die Palmölproduktion führt in diesen Ländern zu enormen ökologischen und sozialen Schäden. Im Nationalrat hatten wir diese Motion bereits angenommen, der Ständerat lehnte sie mit Stichentscheid von Karin Keller-Sutter ab. Eine grosse Enttäuschung. Ich bleibe dran und habe bereits in der letzten Session eine Motion zum Palmölimport eingereicht, die gleiche, die ich bereits vor 2 Jahren eingereicht hatte und die wegen „Verjährung“ von der Traktandenliste gestrichen worden war.
Varia
In der zweiten Woche gab es eine berührende Ehrung: Agnes Hirschi, die Tochter von Carl Lutz, welcher während dem zweiten Weltkrieg in Budapest 60‘000 Juden vor dem Tod gerettet hatte, besuchte uns im Nationalrat und nahm die Ehrung ihres Vaters, welcher 1975 verstorben ist, entgegen.
Bundesrat Johann Schneider-Ammann und Bundesrätin Doris Leuthard haben auf Ende Jahr ihren Rücktritt aus dem Bundesrat erklärt. Sofort hat sich das KandidatInnen-Karusselle zu drehen begonnen. Für mich ist klar, es braucht 2 mal 2 Frauen auf dem Ticket. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das den Parteien gelingen wird.
Noch ein Jahr müssen wir mit diesem rechtslastigen Parlament leben. Dann ist die Legislatur zu Ende. Die Wahlen müssen eine Veränderung bringen und die SVP/FDP Mehrheit im Nationalrat beenden. Daran arbeiten wir bereits kräftig und brauchen dafür die Unterstützung vieler, auch von dir.
Herzlichen Gruss
Claudia Friedl