Sessionsbrief Wintersession 2018

Liebe Leserinnen, liebe Leser

In dieser Session war Frauenwahl: Als erstes wurde unsere Tessiner Nationalrätin Marina Carobbio zur Nationalratspräsidentin gewählt. Sie führt die ganze Ratsdebatte auf italienisch und gibt der 3. grössten Sprachgruppe in der Schweiz eine wichtige Sichtbarkeit. Marina setzt ihr Präsidialjahr unter das Thema Frauenvertretung. So passte es gut, dass in der zweiten Woche zwei Frauen in den Bundesrat gewählt wurden: die St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter und die Walliser Nationalrätin Viola Amherd. Ein notwendiger Schritt, sonst wäre Simonetta nun die einzige Frau im Bundesrat.

Gesundheitsversicherungslobby setzt sich zu Ungunsten der Versicherten durch

Der Gesundheitsversicherungslobby ist im Nationalrat einmal mehr ein Sieg gelungen.Die Franchisen bei den Krankenkassen sollen neu entsprechend der Kostensteigerung im Gesundheitswesen schrittweise angepasst werden. Das bedeutet, dass die tiefsten Franchisen ständig steigen werden und damit die Beteiligung der Kranken an den Kosten. Neben den steigenden Prämien muss also künftig auch noch mehr von den Behandlungskosten übernommen werden. Für viele wird die finanzielle Belastung untragbar.Besonders stossend ist auch die Neuerung, dass die Höhe der Franchise nur noch alle 3 Jahre geändert werden kann. Obwohl wir uns stark gewehrt hatten, siegte die geschlossene bürgerliche Front von SVP, FDP, CVP, BDP und GLP in allen Belangen.

Der Streit ging gleich weiter bei der Zulassungssteuerung für die ambulante Versorgung, die heute aufgrund einer provisorischen Regelung von den Kantonen gemacht wird. Aus unserer Sicht soll das so bleiben und definitiv eingeführt werden. Die gesamte bürgerliche Seite wollte die Kompetenz jedoch den Krankenkassen zuweisen, womit der Vertragszwang aufgehoben werden kann. Der Weg zur 2-Klassenmedizin wäre geöffnet.

Die Bundesfinanzen stehen gut da, trotzdem soll mehr gespart werden

Der Bundesrat hat im Voranschlag 2019 einen Überschuss von 1.3 Milliarden Franken budgetiert. Die Finanzkommission und der Nationalrat liesses sich aber nicht nehmen, noch da und dort weiter zu kürzen. Im Ping-Pong mit dem Ständerat konnten die meisten Scharmützel wieder beseitigt werden. Bei Forschung und Bildung konnte sogar noch etwas aufgestockt werden. Beim Personalwird aber weiter gedrückt, es gibt weder Lohnerhöhungen noch einen vollen Teuerungsausgleich. Es ist nicht nur die SVP, die davon nichts wissen will, die Bürgerlichen halten da zusammen. Alle Jahre wieder kommt der Antrag von rechts,dem Gleichstellungsbüro die Mittel zu streichen. Er konnte abgewehrt werden.Schlussendlich schaffte es das Parlament, den Voranschlag von Ueli Maurer noch um ein paar Fränklein zu „verbessern“.

Verkehr, Klima und Umwelt

Angeführt von der SVP hat die bürgerliche Mehrheit eine Gesetzesänderung angenommen,mit der 30er Zonen auf Hauptverkehrsachsen nur noch aus Sicherheitsgründen erlaubt sein sollen, aber nicht mehr als Mittel zum Lärmschutz. Die effizienteste, billigste und schnellst umsetzbare Methode den Strassenlärm zu verringern, würde damit verboten, dafür müssten Lärmschutzwände erstellt werden. Ein Unsinn sondergleichen.

CO2-Gesetz: Die Kommission hatte dieses Geschäft monatelang vorbereitet, im Parlament debattierten wir rund 12 Stunden darüber und dann standen wir vor einem Scherbenhaufen. Die SVP startete mit ihrer Märchenstunde,wobei die Klimaerhitzung nichts mit dem menschlichen Handeln zu tun habe.Deshalb brauche es gar kein Gesetz und sie wollten gar nicht in die Diskussion eintreten. Immerhin konsequent. Die FDP meinte zwar, es brauche ein Gesetz,aber mit keinen wirtschaftlichen Einschränkungen. Die Ziele sollen vor allem durch Massnahmen im Ausland erreicht werden anstatt mit Inland. Es zeigt sich jetzt deutlich, dass mit einer Mehrheit aus FDP und SVP keine Klimapolitik gemacht werden kann. Zusammen mit der SVP drückte die FDP zahlreiche Verschlechterungen des ohnehin lauen Gesetzes durch. Das Stimmenverhältnis lag jeweils bei 94:96 Stimmen zu ihren Gunsten. Verbesserungen von unserer Seite hatten sowieso keine Chance. So wurden unter anderem die Inlandziele entfernt, eine Flugticketabgabe wurde verworfen und die Massnahmen im Gebäudebereich verwässert. Am Schluss lag ein Gesetz da, das keinen Beitrag zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens, die Klimaerhitzung auf 1.5° C zu begrenzen, leisten kann. Bei der Schlussabstimmung lehnte die SVP das Gesetz weiterhin ab, aber nun konnte auch unsere Seite nicht mehr zustimmen. Wir starteten mit dem Anspruch, dass noch einiges am Gesetz verbessert werden müsse, damit es ein gutes Gesetz würde. Die FDP wollte uns für das Scheitern der Vorlage verantwortlich machen, nachdem sie inunverschämterweise alle ihre Forderungen durchgedrückt hatte. Damit das Klima eine Chance hat, müssen wir die nächsten Wahlen gewinnen, so darf es nicht mehrweiter gehen. Jetzt kann der Ständerat das Gesetz ohne Vorgaben des Nationalrats neu beraten. Vielleicht schaut etwas Besseres heraus. Leider verlieren wir so ein Klimajahr. Aber mit diesem Gesetz hätten wir die nächsten zehn Jahr überhaupt nichts fürs Klima getan. Lieber kein Gesetz als ein wirkungsloses.

Die Einsicht, dass Investitionen etwas mit dem Klima zu tun haben könnten, ist einfach noch nicht in den Köpfen angekommen. So lehnte auch in dieser Session der Nationalrat einen Vorstoss ab, der die Nationalbank verpflichtet hätte, keine klimaschädlichen Investitionen zutätigen. Die bürgerliche Mehrheit sieht darin immer noch keine Bedrohung, weder für das Klima durch die CO2-Belastung noch für die getätigten Investitionen, die wertlos werden, wenn der Klimaschutz endlich greifen wird.

Gesellschaft

Diese Session wurde endlich das Gleichstellungsgesetz verabschiedet.Zwar müssen nur gerade 0.9 Prozent der Schweizer Unternehmen Lohnanalysen machen, weil die bürgerliche Mehrheit das Gesetz in den letzten Sessionen dementsprechend verwässert hat. Doch besser als nichts, so sind immerhin 46 Prozent der Arbeitsnehmenden darin eingeschlossen. 110 Stimmten für das Gesetz, 84 waren dagegen. Dagegen waren – wen wundert’s – die gesamte SVP und eine Mehrheit der FDP.

Zudem hat der Nationalrat die Rassismusstrafnorm ausgedehnt und schützt nun auch homo- und bisexuelle Personen vor Diskriminierung. Nicht darunterfallen soll aber die Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität.Das war der Mehrheit (noch) zu suspekt, deshalb wurde es rausgekippt.

Der UNO-Migrationspakt gab schon im Vorfeld viel zu reden. Eigentlich sollte er gar nicht ins Parlament kommen, weil er nur aus „Soft low“ besteht,also rechtlich nicht bindend, politisch aber schon. Der Schweizer Botschafter Lauber war massgeblich an der Erarbeitung beteiligt. Es geht darin unter anderem darum, dass Menschen, die migrieren ebenfalls Grundrechte haben sollen.Das ist vor allem für Migrierende in Ländern wie Katar oder Saudi-Arabien wichtig, da sie dort oft unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Die Schweiz erfüllt die Erwartungen schon fast ganz und hätte beim abweichenden Punkt, nämlich beim Verbot der Ausschaffungshaft für Minderjährige, einen Vermerk anbringen lassen (obwohl das wirklich abgeschafft werden müsste). Wir aus der Aussenpolitischen Kommission empfahlen dem Bundesrat, den Pakt im Dezember in Marakesch zu unterzeichnen, die Staatspolitische Kommissionverlangte eine Vorlage für das Parlament. Die SVP verlangte, den Pakt ganz abzulehnen, sie wurde von einem Grossteil der FDP unterstützt. Das kam nicht durch, aber dass der Bundesrat nun eine Vorlage an das Parlament ausarbeiten muss, wurde mit 121 zu 70 Stimmen bestimmt. Dass gerade die Schweiz bei der Verabschiedung des Pakts in Marakesch fehlte, hat viele Staaten enttäuscht.Wenn wir so weitermachen, können wir bald auf die von uns so geliebte Eigenschaft als Land der „humanitären Tradition“ verzichten. Einmal mehr enttäuschte die FDP und CVP, die sich immer öfter in die Geiselhaft der SVP geben. Also gilt auch hier: Die Mehrheitsverhältnisse müssen sich bei den nächsten Wahlen dringend verschieben.

Keine Chance hatte die Initiative „Mehr bezahlbare Wohnungen“des Mieterverbands. Sie wurde im Nationalrat mit 143 zu 54 Stimmen zur Ablehnung empfohlen. Nur SP und Grüne waren dafür. Am stärksten bekämpft wurde die Initiative von der SVP. Sie machte schlicht die Personen, die keine zahlbare Wohnung finden können, selbst dafür verantwortlich und beschuldigte die Linke für die hohen Mietkosten verantwortlich zu sein, weil sie mit CO2-Abgaben die Mieten verteuern will. Es zeigte sich einmal mehr, ihnen sind die Anliegen der Bevölkerung Wurst, ob zahlbare Mieten oder Klimaschutz.Immerhin sprach sich eine Mehrheit des Parlaments für die Aufstockung des Fondsfür preisgünstigen Wohnraum um 250 Millionen Franken aus. Diese Aufstockung findet aber nur statt, wenn die Initianten die Initiative zurückziehen. Diese Verknüpfung wegzubringen, war chancenlos. So ist die Realität.

Rahmenabkommen mit der EU

Aus der Aussenpolitischen Kommission waren kein Geschäft in der Session traktandiert. Umso hektischer ging es neben dem Ratsgeschehen in Sachen Rahmenabkommen mit der EU zu und her.Dieses Geschäft haben die Bundesräte Cassis und Schneider-Ammann so richtig verkachelt. Nach dem Eklat im Sommer zwischen dem Bundesrat und den Gewerkschaften gelang es den beiden FDP-Bundesräten nicht mehr, eine Basis für eine richtige Diskussion zu legen. Das Vertrauen in sie ist weg. Im Verhandlungsergebnis wurde einiges erreicht was die Rechtsanwendung,Streitbeilegung etc. anbetrifft. Nur genau beim Lohnschutz, der gemäss Beteuerungen aller erhalten werden soll, ist keine Einigung erzeugt worden! Das ist ein inakzeptables Resultat. In den nächsten Monaten muss dazu eine Lösung gefunden werden, die von den Sozialpartnern mitgetragen wird, d.h. den Lohnschutz garantiert. Ich bin überzeugt, dass dies möglich ist, denn auch die EU akzeptiert den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“.Wir brauchen gute Beziehungen zur EU, weil wir gesellschaftlich und wirtschaftlich eng mit ihr verbunden sind. Die Ausgangslage ist jetzt aber schwierig.

Jetzt verabschiede ich mich in die Festtage und freue mich auf ein spannendes und erfolgreiches Wahljahr. Ich hoffe, viele von euch irgendwo anzutreffen. Euch allen die besten Wünsche für das kommende Jahr, schöne Festtage und einen geruhsamen Jahresausklang.

Claudia Friedl