Sessionsbrief Frühlingssession 2019

Liebe Leserinnen, liebe Leser

Drei Wochen Diskussionen über hunderte von Geschäften sind wieder hinter uns. Ein besonderer Schwerpunkt lag dieses Mal auf sozialen und Gesundheitsvorlagen. Brandaktuell war natürlich die Klimafrage, auf die uns jeden Tag vor dem Bundeshaus protestierende junge Menschen aufmerksam machten. Europa war vor allem in der Wandelhalle eines der heissest diskutierten Themen. 

Europa und Aussenpolitik

Meine Kommission, die aussenpolitische, hatte in der Session nur wenige Geschäfte. Die Frage nach dem institutionellen Rahmenabkommen war nur auf den Gängen ein heiss diskutiertes Geschäft. Vorerst laufen nun aber die Gespräche zwischen Bundesrat, Parteien, Kantonen, Sozialpartnern und Wirtschaft. In der Aussenpolitischen Kommission werden wir die Sache nächste Woche weiterbehandeln. Auf die Einordnung durch den Bundesrat nach all diesen Gesprächen darf man gespannt sein.

In einem ausführlichen Bericht legte der Bundesrat die Vorteile der Schweiz aus dem Schengenabkommen dar, vor allem durch Abschaffung der systematische Personengrenzkontrollen, Visaanerkennung und vor allem polizeilicher und fahnderischer Zusammenarbeit. Bis auf die SVP haben sich alle zum Schengenabkommen bekannt, was im Zusammenhang mit der Abstimmung zum Waffengesetz wichtig ist.
Zu reden gab dann auch die Erneuerung der Kohäsionszahlung von rund 1.3 Milliarden Franken in den nächsten 10 Jahren. Damit sollen soziale und wirtschaftliche Unterschiede in der EU ausgeglichen werden. Die SVP übertraf sich in Empörung: Eine weitere Erpressung durch die EU. Die Zahlung ist aber ein Beitrag für den Zugang zum Binnenmarkt und damit Wirtschaftshilfe für unsere Unternehmen. Zudem zahlt die Schweiz an selbst ausgesuchte Projekte in ausgesuchten EU-Ländern und übermittelt kein Geld direkt an die EU.  

Umwelt, Klima und Verkehr

Die Klimabewegung der Jungen hat doch schon einiges ausgelöst. So hat sie sogar die FDP dazu verführt, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen, welches aber recht rasch ab war, als sie im Nationalrat klimarelevanten Vorstössen zustimmen sollten. Sie lehnten 6 Vorstösse wie Förderung der Elektromobilität oder gegen Lebensmittelverschwendung ab. Nur 2 Postulate zur Flugticketabgabe wollten sie annehmen. Das hätte ihnen gepasst, denn bis die Berichte geschrieben worden wären, hätten sie nichts tun müssen. Wir haben das durchschaut und diese Postulate flugs zurückgezogen. Da standen sie mit abgesägten Hosenbeinen da. Ich habe bereits letztes Jahr eine Motion zur Flugticketabgabe eingereicht, wenn es der FDP ernst ist, wird sie diese unterstützen können.

Ein richtiges Wunschkonzert ging beim Ausbau der Nationalstrassen 2020-2023 los. Zu den gut abgeklärten und vorbereiteten Vorschlägen des Bundesrates hat der Nationalrat auf Anträge aus dem Rat noch weitere hinzugefügt wie die Thurtalstrasse, die Zürcheroberlandstrasse oder der Muggenbergtunnel. Das Dumme war nur, dass diese Strassenabschnitte noch gar kein Preisschild hatten und schlussendlich die Strassenfreunde ihre Anträge sistieren und an die Kommission zurückgeben mussten. Diese Milliarden schweren Ausbauten werden aber wohl trotzdem kommen, einfach erst in der nächsten Tranche. Die SP hatte das nicht unterstützt. Die Strassen sollen unterhalten werden, neue wollen wir nicht.

Nicht zum ersten Mal diskutierten wir über das Thema Palmöl. Die rechte Mehrheit im Nationalrat wollte nichts davon wissen, Palmöl aus den Freihandelsabkommen mit Indonesien und Malaysia auszuschliessen. Das verlangten 2 Standesinitiativen aus dem Thurgau und aus Genf. Die Bauern, die ursprünglich bei diesem Bann mitmachen wollten, waren nicht mehr mit dabei, sobald sie Zusicherungen zum Schutz ihrer Ölsaaten und des Käses (!) erhalten hatten. Anbaubedingungen in den Palmöl-Ursprungsländer sind ihnen egal. Der Bundesrat setzt weiter auf Labels, die aber leider nicht halten, was sie versprechen. Wegen den enormen Mengen Palmöl, die in den Export gehen, ist eine Rückverfolgbarkeit zum Produzenten meist unmöglich, was eine Kontrolle der Arbeits- und Umweltbestimmungen so gut wie verunmöglicht.

Unser x-te Versuch, per Motion Umsetzungsgarantien betreffend Arbeitsschutz, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit und Menschenrechte in neu verhandelte Efta-Freihandelsabkommen einzufügen, scheiterte auch diesmal. Obwohl es heute meist keine Sanktionsmöglichkeiten gibt und die zivilgesellschaftlichen Überwachungsstrukturen fehlen wurde auch dieser Vorstoss mit 120 zu 62 Stimmen versenkt.

Gesundheit

Der Nationalrat hat sich dafür ausgesprochen, dass strengere EU-Regeln bei Medizinprodukten übernommen werden. Für die Exportwirtschaft ist dies wichtig, damit ihr Marktzugang zur EU einfach erhalten bleibt. Die SVP war dagegen, weil sie grundsätzlich gegen alles ist, wo EU draufsteht.  

Die Bürgerlichen im Nationalrat hatten anfangs Session einer automatischen Franchisenerhöhung  bei der Krankenkasse zugestimmt. Höhere Franchisen sind unsozial, weil sie die Chronischkranken, Alten und Ärmeren besonders treffen. Sofort kündigte die SP das Referendum an, sollte diese Erhöhung bestehen bleiben. Diese Androhung hatte zur Folge, dass die von der SVP beantragte Erhöhung der Franchise auf 500 Franken knallig mit 162 Nein- zu 21 Ja-Stimmen verworfen wurde, obwohl noch in der Kommission alle ausser der SP dafür waren. Bei den 21 Stimmen fanden sich nur noch die ganze GLP und einige aus der SVP und FDP sowie Lorenz Hess aus der BDP. Diese spektakuläre Wende war nur dadurch zu erreichen, dass die Bürgerlichen merkten, dass mit einer Franchisen-Erhöhung keine Wahlen zu gewinnen sind. 

Es gibt aber auch positive Nachrichten bei den Gesundheitsvorlagen. So hat der Nationalrat eine Motion aus dem Ständerat angenommen, welche Anrufe zur Gewinnung von Neukunden verbietet und die Provisionen begrenzen will. Auch angenommen wurde eine Motion aus SP Kreisen, welche Ärztinnen und Ärzte von Spitälern verpflichtet, ihre Löhne offen zu legen.

Wohlfahrtstaat und Gesellschaft

Das Gesetz über die Ergänzungsleistungen wurde nach langen Verhandlungen abgeschlossen. Der EL-Anspruch erlischt nun ab einem Vermögen von 100‘000 Franken pro Person. Zusätzlich müssen Ergänzungsleistungen nach dem Tod aus der Erbmasse zurückbezahlt werden, wenn noch mehr als 40‘000 CHF vorhanden sind. Es gab auch einige Verbesserungen. Die Erhöhung der Mietzinsmaxima war hart umstritten, ist aber geglückt. Auch, dass 58-Jährige Arbeitslose neu bei ihrer Pensionskasse bleiben können, ist ein Fortschritt. Weil aber doch einige Verschlechterungen aufgenommen wurden, enthielten wir uns am Schluss der Stimme.

Die Weiterentwicklung der IV ist ein weiteres gewichtiges Geschäft. Grundsätzlich ist die Stossrichtung gut, da mehr in die Wiedereingliederung von Menschen mit psychischen Problemen und von jungen Menschen investiert wird. Aber: Der Nationalrat will gleichzeitig Kürzungen mit hineinpacken: So sollen IV-RentnerInnen für ihre Kinder weniger Geld erhalten. Die Kinderrente wird in eine „Zulage für Eltern“ umbenannt und um 25 % gekürzt, was etwa 200 Franken pro Monat ausmacht. Mit 106 zu 66 Stimmen und 10 Enthaltungen wurde dieses unsoziale Anliegen von einer Mitte-rechts-Mehrheit durchgedrückt. Eine weitere negative Entwicklung ergibt sich dadurch, dass es nun ein stufenloses Rentensystem gibt. Die Höhe der Rente richtet sich nach dem prozentualen Individualitätsgrad, was zur Folge hat, dass künftig um jedes Prozent gefeilscht werden muss. Für die Beteiligten ist dies sicher kein Vorteil. Immerhin bleibt die Grenze für eine Vollrente bei einem Invaliditätsgrad von 70 %.  In der Gesamtabstimmung haben wir uns der Stimme enthalten, da alle unsere Anträge zur Verbesserung der Vorlage abgelehnt wurden und wegen der Rentenkürzung bei den Kindern. Enthalten haben sich auch die Grünen und zwei aus der CVP. Die Enthaltung soll auch ein Zeichen an den Ständerat sein, dass wir mit der Vorlage so noch nicht zufrieden sind und von ihm noch Verbesserungen erwarten.  

Erfreulich ist ein Beschluss des Nationalrats. Neu sollen arbeitslose alleinerziehende Mütter Familienzulagen erhalten und Ausbildungszulagen bereits ab 15 ausbezahlt werden. Hier war der Rat ausnahmsweise mal geschlossen dafür.

Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat will die Ausschaffungshaft von Minderjährigen weiterhin nicht verbieten, dies obwohl die Regelung gegen die Kinderrechtskonvention verstösst. Heute ist die Ausschaffungshaft in der Schweiz nur für unter 15-Jährige verboten.

Neu sollen mehr Kinderbetreuungskosten von den Steuern abgezogen werden können. Dies hat der Nationalrat beschlossen. Die SP hat sich dafür eingesetzt, dass statt des unsolidarischen Steuerabzugs eine Gutschrift auf die Steuerrechnung gemacht wird. Damit würden alle Familien profitieren. Von Steuerabzügen profitieren aber in erster Linie die höheren Einkommen. Zudem soll der Abzug nicht nur für institutionelle Betreuungsangebote gelten, sondern auch für die privatangestellten Kinderbetreuerinnen (Nanny). Deshalb hat die Mehrheit der SP die Vorlage abgelehnt.

Der Bundesrat wurde beauftragt, in einem Bericht sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu überprüfen. Die Mehrheit war dafür, nur einige aus der SVP und FDP waren dagegen.

Kantonale Mindestlöhne sollen auch für ausländische Arbeitgeber gelten, welche Angestellte in die Schweiz entsenden. Dies hat der Nationalrat nach dem Ständerat entschieden. Dagegen war der grösste Teil der SVP, eine Mehrheit der FDP (obwohl der Vorstoss aus ihren Reihen kam!) und vereinzelte aus der GLP und BDP.

Steuern und Geldströme

Der Nationalrat will nichts gegen Steuerhinterziehung tun. Er hat ein Postulat abgelehnt, welches überprüfen hätte lassen, in welchem Ausmass Steuern hinterzogen werden. Auch weitere Vorstösse gegen Steuerdelikte aus SP Kreisen lehnte er ab. Da besteht bei der bürgerlichen Mehrheit wirklich kein Reformbedarf, ihre Klientel würde das auch nicht begrüssen. Nur erstaunlich, warum sich immer auch so viele SVPler vor diesen Karren spannen lassen.

Ebenfalls abgelehnt hat der Nationalrat ein Postulat von mir für einen nationalen Aktionsplan zur Eindämmung unlauterer und unrechtmässiger Geldflüsse. Schätzungen zu Folge fliessen jedes Jahr rund 500 Milliarden Dollar aus Entwicklungsländern ab, während über Entwicklungshilfe nur 150 Milliarden in den Süden fliessen. Den besten Beitrag zur Erreichung der Entwicklungsziele 2030 könnte erreicht werden, wenn die Entwicklungsländer ihre Gewinne behalten und ihr Steuersubstrat besser ausschöpfen könnten.

8. März Internationaler Frauentag

Unsere Nationalratspräsidentin Marina Carobbio hatte für diesen Tag im Anschluss an die Sitzung eine interessante Talk-Runde organisiert. Aber am meisten gefreut hat mich das Zusammentreffen mit Hanna Sahlfeld-Singer. Hanna gehörte zu den ersten Frauen im Nationalrat und vertrat den Kanton St. Gallen. Der Abend erlaubte viele schöne Begegnungen mit Frauen und zeigte mir einmal mehr, wie wichtig es ist, dass Frauen, und vor allem linke Frauen auf dem PräsidentInnen-Stuhl Platz nehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Wahlen im Herbst gewinnen. Das Pendel im Rat muss dringend wieder in die andere Richtung schlagen, weil einfach zu viele Gesetze derzeit zu Ungunsten der Mehrheit der Bevölkerung und insbesondere der Schwächeren geändert werden.

Herzliche Grüsse

Claudia Friedl