Sessionsbrief Wintersession 2019
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Bekannte
Mit der vergangenen Session starteten wir in die neue Legislatur. Und es war wirklich eine ganz neue Situation, mit vielen neuen Gesichtern und neuen Mehrheitsverhältnissen. Bei manchen Abstimmungen haben sich diese bereits niedergeschlagen, manchmal gab es aber doch Enttäuschungen. Wichtig war die Verteilung der Kommissionen und Delegationen. Neu nehme ich Einsitz in die Finanzkommission. Weiterhin bin ich Mitglied der Aussenpolitischen Kommission und übernehme da auch die Leitung der SP-Delegation. Neu bin ich auch Mitglied der achtköpfigen OSZE-Delegation, was mehrere Auslandreisen mit sich bringen wird. Also die Arbeit wird mir nicht ausgehen. Wie immer schreibe ich hier über einige, ausgewählte Themen.
Gesellschaft und Soziales
Bei den sozialen Themen macht sich die neue Parteizusammensetzung im Nationalrat zwar bemerkbar, aber so ganz eindeutig sind die Resultate jeweils noch nicht. So hat der NR eine parlamentarische Initiative der GLP angenommen, die fordert, dass neu alle eine 50 Franken Strafgebühr zahlen müssen, die einen Notfall aufsuchen, ausser sie verbringen die Nacht im Spital. Die Gefahr der Zweiklassenmedizin steigt damit an und es entstehen Fehlanreize, dass Leute zu spät in den Notfall gehen oder aber insistieren, die Nacht bleiben zu können, um die Gebühr zu umgehen. Mit 85 Gegenstimmen aus SP, Grünen und einem Teil der Mittefraktion (das sind CVP+EVP+BDP) wurde diese Pseudomassnahme angenommen.
Lange Diskussionen gab es zur Pflegeinitiative und zum indirekten Gegenvorschlag dazu. Die Erkenntnis, dass es einen Mangel an Pflegefachkräften gibt, war eigentlich unbestritten. In 10 Jahren braucht es 65‘000 neue Arbeitskräfte, jährlich müssten 6000 ausgebildet werden. Es sind aber heute nur 3000 und viele AbsolventInnen meinen bereits in der Ausbildung, dass sie diesen Beruf nicht sehr lange ausüben wollen. Die kurze Verweildauer, bedingt durch ungenügende Arbeitsbedingungen, Anerkennung und Lohn, braucht dringend Gegenmassnahmen. Die Initiative stellt dazu umfassend Forderungen. Mit 82 Ja-Stimmen von SP, Grünen und einzelnen aus der Mitte-Fraktion und der FDP und GLP zu 107 Nein-Stimmen wurde die Initiative zwar verworfen, aber immerhin wurde der indirekte Gegenvorschlag angenommen! Er bietet eine Bildungsoffensive und auch die direkte Abrechnung von erbrachten Leistungen des Pflegepersonals wird ermöglicht. Nur die SVP war auch gegen diese Vorlage. Jetzt gehen Initiative und Gegenvorschlag in den Ständerat. Vielleicht gelingt es dort, noch bessere Massnahmen zur Erhöhung der Verweildauer im Beruf einzubringen.
Einen Erfolg gab es auch bei der IV. Wollte der Nationalrat in der alten Zusammensetzung die Kinderrenten völlig unsozial kürzen, konnten wir im neuen NR in diesem Geschäft eine Mehrheit gewinnen und die Rentenkürzung wieder kippen. Ausser der SVP waren fast alle gegen diese Kürzung.
Ein gutes Zeichen hat der Nationalrat bei den Verdingkindern gesetzt. Im Sommer berichtete der Kassensturz, dass einigen ehemaligen Verdingkindern wegen dem einmaligen Solidaritätsbeitrag die Ergänzungsleistungen gekürzt wurden. Dies war dem Parlament bei der Zustimmung zur Vorlage nicht bewusst gewesen. Der Beschluss zur Gesetzesänderung wurde einstimmig angenommen. Die gekürzten EL-Beiträge werden zurückerstattet.
Kontrovers wurde die Initiative für ein Burkaverbot diskutiert. Ob ein Burkaverbot zu mehr Sicherheit führt oder für die Frauen eine Befreiung oder eine Einschränkung bedeutet, wurde konträr diskutiert. Es lag auch ein Gegenvorschlag vor, der in klaren Situationen z. B. bei einer Billettkontrolle verlangt, dass das Gesicht gezeigt werden muss. Zudem verlangt er zusätzliche Anpassungen für echte Gleichstellungen zwischen Mann und Frau. Die Initiative fand keine Mehrheit, auf den Gegenvorschlag wurde mit 94:90 Stimmen eingetreten, wobei das Ergebnis nicht so genau den Parteilinien entlang ging. Mehrheitlich dafür waren die SP (mit einigen Enthaltungen), die Grünliberalen, die Mitte-Fraktion, sowie einige aus der FDP und den Grünen. Dagegen war die SVP, welche lieber nur die Initiative hätte, um Polemik betreiben zu können, sowie eine Mehrheit der FDP und der Grünen, die meinen, es brauche gar nichts.
Umwelt, Klima und Biodiversität
Die Revitalisierungen von Fliessgewässern ist ein wichtiges, aber oft vernachlässigtes Thema. Es ist aber zentral für die Wasserlebewesen und damit die Biodiversität. Weil die Kantone viele Projekte in Planung haben, sollte im Budget der Betrag der Bundesgelder erhöht werden. Damit könnten 50 km statt nur 30 km pro Jahr revitalisiert werden. Der Antrag wurde jedoch hauchdünn mit 96 zu 95 Stimmen abgelehnt. Es war vor allem von der CVP abhängig, die grossmehrheitlich dagegen war.
Wie schwer es Biodiversität und Natur haben, zeigte sich auch beim Vorstoss von Albert Rösti, der die Bestimmungen der Umweltverträglichkeitsprüfung bei Konzessionserneuerungen für Wasserkraftwerken lockern will. Mit diesem Rückschritt fällt man auch den InitiantInnen der früheren Initiative „lebendiges Wasser“ in den Rücken. In einer ersten Abstimmung wurde die Vorlage mit 98 zu 91 Stimmen verworfen. Nach einem Ordnungsantrag wurde die Abstimmung wiederholt. Diesmal stimmten 95 dafür und 95 dagegen und wurde mit Stichentscheid der Präsidentin angenommen. Die CVP hat den Ausschlag gegeben und auch die GLP war nicht geschlossen dagegen.
Wenigstens beim Gegenvorschlag zur Trinkwasserinitiative wurde die neue Zusammensetzung des Nationalrats spürbar. Wollte der NR vor Kurzem noch nichts davon wissen, will er nun eine Gesetzesänderung, die belastende, synthetische Pestizide verbietet, unterstützen. Die Vorlage der SP-Fraktion wurde mit 105 zu 88 Stimmen von SP, Grünen, GLP sowie einigen aus der Mitte- und FDP-Fraktion, angenommen.
Keine Lösung zeichnet sich bei der Raumplanung ab. Das Parlament beschloss, das Raumplanungsgesetz 2 nicht weiter zu verfolgen. Die schwierige Situation beim Bauen ausserhalb der Bauzone wird damit auf die lange Bank geschoben. Für den Schutz der Landschaft vor Zersiedelung ist das keine gute Nachricht.
International
Der Nationalrat hat der Kohäsionsmilliarde zugestimmt. Damit leistet die Schweiz direkt Beiträge an Entwicklungsprojekte in ärmeren EU-Ländern. Zudem wurde ein Teil des Geldes für die Unterstützung von EU-Ländern, in denen viele Flüchtlinge ankommen, wie Italien oder Griechenland, zugeteilt. Es wurde aber auch eine Bremse eingebaut. So sollen die Beiträge erst fliessen, wenn die EU die Börsenregulierung der Schweiz wieder als gleichwertig ansieht. Die SP hat diese Forderung klar abgelehnt. Es macht keinen Sinn, endlich die Beziehung zur EU wieder zu normalisieren und dann gleich wieder so eine Bremse einzubauen. Die Vorlage passierte in dieser Form aber problemlos, gegen die SVP.
Nach vielen Jahren wurde endlich die Forderung nach ein wenig mehr Transparenz bei Zahlungen von Rohstoffhandelsfirmen an staatliche Stellen angenommen. Mit 107 zu 78 stimmte der NR bei der Aktienrechtsrevision einem zwar sehr schwachen Artikel zu. Die SVP und FDP waren geschlossen dagegen. Im alten Parlament hatten sie bei der letzten Abstimmung zu diesem Thema noch gewonnen. Das sind erfreuliche Zeichen.
Militär
Der Nationalrat unterstützte Viola Amherd und sagte ja zu sechs Milliarden Franken für neue Kampfflugzeuge. Der Gripen hatte noch etwas über 3 Milliarden gekostet. Aber ausser der SP und den Grünen kümmert das niemanden. Die einzige Differenz zwischen dem Nationalrat und dem Ständerat war die Höhe der Offsetgeschäfte, also der Gegengeschäfte. Der Ständerat wollte 100%, dann 80%, der Nationalrat nur 60% oder noch weniger. Es brauchte eine Einigungskonferenz, wo man sich auf 60% einigte. Die SP hat bereits ein Gegenkonzept vorgestellt: Doppelte Sicherheit zum halben Preis. Für die luftpolizeilichen Aufgaben sind keine Kampfjets notwendig. Darauf baut der Vorschlag der SP auf. Es ist bereits klar, dass das Referendum gegen die neuen Flieger ergriffen wird, weil diese enorme Geldsumme an anderen Orten viel dringender gebraucht wird.
Einen Dämpfer erlebten wir beim Dossier Zivildienst. Auch das neue Parlament hat nichts Grundlegendes geändert und die Vorlage nicht mehr verbessert. Die grösste Verschärfung betrifft die Personen, die aus dem Militärdienst in den Zivildienst wechseln. Sie müssen immer min. 150 Tage Zivildienst leisten, egal wie lange sie schon Militärdienst leisteten. Eine reine Schikane. In der Gesamtabstimmung wurde die Verschärfung mit 102 zu 92 Stimmen angenommen, weil die CVP einmal mehr mit Rechts gestimmt hat. Jetzt hilft nur noch eins: das Referendum zu ergreifen. Zivildienstleistende leisten einen enorm wichtigen Beitrag an die Bevölkerung. Dieser muss endlich als solcher wertgeschätzt werden.
Verschiedenes
In der zweiten Woche fanden die Bundesratswahlen statt. Unsere beiden Bundesräte Alain Berset und Simonetta Sommaruga wurden mit einem Glanzresultat wiedergewählt. Alain Berset gar mit dem zweitbesten Resultat. Ignazio Cassis wurde trotz Angriff der Grünen mit Regula Rytz wiedergewählt. Regula Rytz machte 82 Stimmen, das sind gerade etwa die SP und Grünen zusammen. Von der GLP wurde sie wohl nicht unterstützt. Der Angriff der Grünen auf kommende frei werdende Sitze ist wohl vorgezeichnet. Ich finde, so wie die Mehrheitsverhältnisse nun sind, gehören sie in den Bundesrat, nur schon, um auch dort die Kräfteverhältnisse besser abzubilden. Simonetta Sommaruga wurde zudem als Bundespräsidentin gewählt. An einem stimmungsvollen Fest auf dem Gurten kamen wir von der Bundeshaus-Band wieder einmal zum Einsatz. Aber der Star war natürlich Simonetta, die mit Steff la Cheffe rappte.
Es waren drei intensive Wochen. Zu Beginn der Legislatur laufen extrem viele Gespräche, alle Delegationen, Kommissionen, Gruppen müssen sich neu bilden und die Mitglieder informiert und auf den neusten Stand gebracht werden. Jetzt geniesse ich die Weihnachtstage, bevor dann anfangs Jahr die Arbeit in den Kommissionen wieder beginnt.
Ich wünsche euch allen schöne Festtage und einen erfreulichen Start ins neue Jahr.
Herzliche Grüsse
Claudia Friedl