Sessionsbrief Herbst 2020
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Bekannte
Corona-Massnahmen und Klimademo prägten die Herbstsession 2020 atmosphärisch. Politisch schlug der Nationalrat ein paar Pflöcke ein, so in den Bereichen von Massnahmen im Zusammenhang mit Covid-19, dem CO2-Gesetz und der Stärkung der Kinderrechte. Wir bearbeiteten aber auch die Legislaturziele und mehrere Rahmenkredite für die Bereiche Kultur, Bildung, Forschung und Innovation, Bahnverkehrsinfrastruktur, Entwicklungszusammenarbeit oder Armee für die nächsten 4 Jahre. Da geht es immer um Milliardenbeträge. Trotz gedämpfter Konjunkturaussichten wurden die Kredite praktisch ungekürzt verabschiedet.
Corona
Im Frühling sagte der Bundesrat: Niemand soll vergessen werden oder durch die Maschen fallen. Nur dank der SP wurde das umgesetzt, weil wir uns dezidiert dafür einsetzten, dass Corona-Massnahmen für die Selbständigerwerbenden fortgeführt und auch Branchen, die nur indirekt von Schliessungen betroffen waren, wie die Event-, Reise- und Kulturbranche nun Unterstützung erhalten. Damit konnten tausende Existenzen von Kleinunternehmer*Innen gerettet werden. Auch der öffentliche Verkehr muss unterstützt werden. Nicht alle Unterstützungsprogramme fanden bei allen den gleichen Anklang, aber es war einzig die SVP, die immer wieder gegen die Hilfspakete stimmte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wären viele durch die Maschen gefallen. Mittlerweile belaufen sich die für das Jahr 2020 nachträglich gesprochenen Kredite wegen Corona auf rund 32 Milliarden (+40 Milliarden Darlehen an die Unternehmen). Die Kredite werden sicher nicht alle ausgeschöpft werden, aber es werden Schulden auflaufen. In der Finanzkommission werden wir uns in den nächsten Sitzungen damit befassen, wie diese verbucht werden, denn das hat auf die kommenden Budgets einen nicht unbedeutenden Effekt. Im Parlament musste auch das Covid-19-Gesetz verabschiedet werden. Im Vorfeld der Sitzung wurden wir Parlamentarier*innen mit einer Mailflut gegen dieses Gesetz überschwemmt, hauptsächlich wegen des vermeintlichen Impfzwangs. Diesen gibt es in der Vorlage gar nicht. Das Gesetz enthält auch verschiedene Massnahmen zur Dämpfung der Auswirkungen von Covid-19. Es regelt auch, dass künftig der Bundesrat die Kantone und Verbände bei neuen Covid-Verordnungen einbeziehen muss, das ist gut so. Auch, dass das Gesetz bis Ende 2021 begrenzt ist. Die SP hat viel dazu beigetragen, dass möglichst niemand durch die Maschen fällt. Mit 144:35:16 wurde das Gesetz angenommen, nichtzustimmen wollte die SVP, sie macht lieber grosse Töne, als dass sie etwas für die Leute tut.
Klima und Biodiversität
Endlich bog das CO2-Gesetz in die Zielgerade ein. Das ist ein Verdienst der intensiven Klimastreiks, sie haben etwas bewirkt: Das CO2-Gesetz konnte endlich verabschiedet werden. Im Gegensatz zur Version der letzten Legislatur geht die Vorlage wichtige Schritte in die richtige Richtung. Ein Senkungsziel bis 2030, 75% der Kompensation im Inland, ein Plus von 12 Rappen auf 1 Liter Treibstoff, eine Erhöhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe auf 210 Franken pro Tonne CO2 (heute: 120 Franken) und sogar eine Flugticketabgabe für Linien- und Privatjets schaffte es in die Vorlage. Leider fehlen immer noch Massnahmen für einen klimaneutralen Finanzplatz. Aber es ist ein solides Gesetz, das Wirkung haben wird. Um das Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen, wird es noch weitere Anstrengungen brauchen. Das weiss auch Simonetta Sommaruga. In der Schlussabstimmung passierte die Vorlage mit 129:59:8. Die Nein-Stimmen kamen von der SVP (ausser einem) und 3 Freisinnigen, die Enthaltungen auch von der CVP, u.a. von Thomas Rechsteiner AI. Die SVP spielte sich auf als Retterin der Büezer, der Familien und der Landwirtschaft. Sie hat nicht begriffen, dass viele der Abgaben an die Bevölkerung rückerstattet oder wieder für den Klimaschutz eingesetzt werden. Es ist an der Zeit, dass wir endlich handeln, denn die grössten Leidtragenden ist die ärmere Weltbevölkerung im globalen Süden. Falls das Referendum ergriffen wird, müssen wir dieses mit aller Kraft bekämpfen. Ein entschlossenes Handeln verträgt jetzt keine weitere Verzögerung.
Soziale Sicherheit und Gleichstellung
Es gab auch einige erfreuliche Entwicklungen im Bereich Mutterschaft und Kinderschutz. So wird die Mutterschaftsentschädigung verlängert, wenn ein krankes Baby nach der Geburt länger im Spital bleiben muss. Zudem sollen Eltern bei einer Adoption eines Kindes einen 14-tägigen Urlaub bekommen. Weiter sollen Selbstständige bei einer Mutterschaft Betriebsentschädigungen ausbezahlt bekommen, wie das heute bereits bei Wehrdienstpflichtigen der Fall ist. Diese Forderung geht auf eine SP-Motion zurück und wurde mit 127 zu 44 Stimmen deutlich angenommen. Auch bei den Kinderrechten ging es vorwärts. Endlich wurde einer Motion für eine Ombudsstelle für Kinderrechte zugestimmt, mit 138 zu 46 Stimmen. Die Stelle soll zwischen dem Kind und staatlichen Stellen vermitteln. Einen Abstimmungskrimi erlebten wir beim Verbot von Administrativhaft für Minderjährige, was eine Standesinitiative aus Genf verlangte. Der Entscheid war äusserst knapp: nach dem Ergebnis von 95:95 wurde die Vorlage per Stichentscheid der Präsidentin abgelehnt. Die SP stellte einen Ordnungsantrag auf Wiederholung, was fairerweise von der Mehrheit gestattet wurde. Beim 2. Durchgang stimmten dann 95 für und 93 gegen die Initiative. Eine weitere Standesinitiative aus den Kantonen St. Gallen, Thurgau und beider Basel fand ihre Zustimmung: Kinderspitäler arbeiten heute oft defizitär. Der Bund soll neu die Finanzierungslücken schliessen. Beim Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative konnten wir dank der hervorragenden Arbeit der SP-Gesundheitsdelegation die Verschlechterungen des Ständerats wieder korrigieren. Dem Personal wird mehr Kompetenzen übergeben, auch was das Abrechnen von Pflegematerial betrifft, und die Kantone werden verpflichtet mehr Geld in die Ausbildung von Pflegekräfte zu investieren. Damit ist der Gegenvorschlag wieder auf Kurs.
Gesellschaftspolitik
Völlig überraschend fand im Nationalrat eine parlamentarische Initiative eine Mehrheit, welche Stimmrechtsalter 16 fordert. Ein klares Zeichen dafür, dass der Nationalrat sich in seiner Zusammensetzung stark verändert hat. In der letzten Legislatur wäre dies nie erfolgreich gewesen. Aber eben: Jetzt muss noch der Ständerat darüber befinden.
Eigentlich wissen das alle: Die Bevölkerung will wissen, woher das Geld bei politischen Kampagnen und Wahlen kommt. Nur das Parlament tut sich enorm schwer damit und wollte einen völlig ungenügenden Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative durchwinken. Die Offenlegungsgrenzen wären für Parteispenden bei 25’000 Franken und bei Kampagnen bei 250’000 franken gelegen! Auf die Veröffentlichung der Namen der Spender*innen hätte ganz verzichtet werden sollen. Da gab es für uns nur eine Antwort: Ablehnen des Gegenentwurfs, wir setzen voll auf die Volksinitiative!
Vier Stunden lang wurde über die 99%-Initiative der JUSO debattiert. Die Initiative verlangt, dass Kapitaleinkommen höher besteuert werden (zu 150%) als Arbeitseinkommen. Heute ist es umgekehrt. Wer hart für sein Geld arbeitet, muss es zu 100% versteuern, während Kapitaleinkommen nur zu 60% versteuert werden müssen. Die Initiative wurde mit 123 zu 62 Stimmen abgelehnt. Die Mitte-Rechts-Mehrheit verschliesst die Augen vor dieser Ungerechtigkeit. Selbst ein Gegenvorschlag, beides zu 100% zu versteuern und damit die Bevorzugung der Dividendenbesteuerung zu beenden, wurde abgelehnt. Das letzte Wort haben nun die Stimmberechtigten.
Der Nationalrat hat seine ursprüngliche Idee nun abgelehnt, dass bei automatischen Vertragsverlängerungen die Konsument*innen mindestens einen Monat vorher informiert werden müssen und auf ihr Recht zu Kündigung hingewiesen werden müssen. Damit können weiterhin im Kleingedruckten automatische Vertragsverlängerungen hineingeschrieben werden und der Kunde muss am Schluss zahlen. Gegen die Versicherungslobby kommen wir einfach immer noch nicht an.
Rund um den Ratsbetrieb
Unübersehbar waren die Aktionen neben dem Ratsbetrieb. Während es bei uns in den der Wandelhalle immer noch sehr personenarm und ruhig zu und her geht, war draussen auf dem Bundesplatz einiges los. Das über Nacht erstellte Camp der Klimabewegung liess den Bürgerlichen das Blut in die Köpfe treiben. Sofort wurde ein Ordnungsantrag eingereicht (und am folgenden Tag gleich noch einer), das illegale Camp räumen zu lassen, um den Rechtsstaat zu retten. Alec von Grafenried, der Stapi von Bern, wurde hart kritisiert, weil er zu wenig unternahm und auf Dialog setzte. Was sich schlussendlich auch bewährte, indem das Camp am Mittwoch friedlich abgebaut wurde. Ich war auch auf dem Platz. Es war eine gute Stimmung, engagiert, ernsthaft, fröhlich, kreativ. Eine Stimmung, die hoffen lässt, dass jetzt die Bereitschaft da ist, etwas gegen die grösste Bedrohung zu tun. Die Forderungen der Bürgerlichen nach Räumung und Auflösung gaben mir sehr zu denken, sehen wir doch täglich die Bilder aus Belarus, wo ein Staat seine eigene Bevölkerung nicht hören will und die Demonstrationen niederknüppeln lässt. Die Demonstration auf dem Bundesplatz war nicht bewilligt, die Beteiligten haben sich aber das Recht genommen, friedlich auf eines der brennendsten Probleme unserer Zeit hinzuweisen. Ein friedlicher Protest gehört zu einer Demokratie und ist wichtig.
Nach 3 Wochen in unseren «Aquarien» im Bundeshaus kann ich doch feststellen, dass wir durch die ganze Session gekommen sind, ohne einen Corona-Ausfall zu verzeichnen. Das gibt doch Mut, dass wir die Situation in den Griff bekommen.
So wünsche ich euch allen: gute Gesundheit!
Claudia Friedl