Sessionsbrief Winter

Geschätzte Leser*innen    

Eine spannende und intensive Session geht zu Ende. Nebst den Bundesratswahlen standen unter anderem die Budgetdebatte, die Pensionskassen-Reform, die Initiative für eine 13. AHV und die Pflegeausbildung im Zentrum. Ich habe diesmal für euch, die aus meiner Sicht fünf grössten Tops & Flops und ein Extra der Wintersession zusammengestellt. 

Fünf Tops ✅ 

1. Nur ja heisst ja

Fortschrittliches Sexualstrafrecht im Bereich des Möglichen 

Ein Highlight der Wintersession war sicherlich die Revision des Sexualstrafrechts im Nationalrat. Mit 99 zu 88 Stimmen konnten wir die Zustimmungs-Variante durchsetzen. Bei sexueller Gewalt wird für eine Verurteilung nicht mehr ein «Nein» des Opfers vorausgesetzt. Das ist wichtig, weil Opfer von sexueller Gewalt eine Schockstarre erleben können und somit nicht mehr im Stande sind zu kommunizieren. Jetzt wird eine Zustimmung gefordert: Nur ja heisst ja. Entgegen den Behauptungen aus ablehnenden Kreisen findet aber keine Beweislastumkehr statt. 

Das Geschäft geht nun zurück in den Ständerat mit noch unsicherem Ausgang.

2. Schädliche Konversionstherapien

Nationalrat will LGBTQ* Menschen vor Scheintherapie schützen

In der dritten Sessionswoche haben wir im Nationalrat einen wichtigen Schritt für die Menschen der LGBTQ*-Community gemacht. Der Nationalrat hat sich mit einer deutlichen Mehrheit (143:37) für das Verbot von sogenannten «Konversionstherapien» ausgesprochen. Opposition gab es einzig von Teilen der SVP, sowie je einer Stimme aus der FDP (Fluri) und der Mitte (Roduit). Bis heute wird insbesondere in fundamental religiösen Kreisen jungen Menschen weisgemacht, dass Homosexualität im Sinne einer psychischen Krankheit «therapiert» werden könne. Eine gute Dokumentation dazu gibt’s hier von SRF. Diese Scheintherapien sind für die Betroffenen nicht nur schädlich, sondern sie vermitteln jungen Menschen auch ein gefährliches und falsches Bild der Veränderbarkeit ihrer sexuellen Orientierung. Verändern müssen wir aber nicht die sexuelle Orientierung der Menschen, sondern die Homophobie in der Gesellschaft!

Die Vorlage muss nun noch durch den Ständerat, ich schätze die Chancen für eine Mehrheit aber als gut ein. 

3. Autobahnanschluss Güterbahnhof

Die Stadt ist nun in der Verantwortung

Überrascht hat mich die Antwort auf meine Frage in der Fragestunde. Ob der Bundesrat das Postulat des St. Galler Stadtparlaments, welches sich gegen den Autobahnanschluss beim Güterbahnhof wendet und Abklärungen der Auswirkungen verlangt, zur Kenntnis genommen habe. Der Bundesrat hat darauf mitgeteilt, dass der Bericht abgewartet werden müsse, um die Auswirkungen abschätzen zu können. Damit anerkennt er zumindest den politischen Willen des Stadtparlaments. Ob damit der Weg für eine Volksabstimmung in der Stadt St. Gallen bereitet werden kann, ist fraglich. Ich bleibe auf jeden Fall dran, damit dieser unnötige und umweltschädliche Autobahnanschluss gestoppt werden kann. 

4. Leichtere Einbürgerungen für Ausländer*innen dritter Generation

Hürden sollen abgebaut werden

2018 trat das Gesetz zur erleichterten Einbürgerung für Ausländer*innen der dritten Generation in Kraft. Jetzt hat eine Studie gezeigt, dass die Hürden trotzdem sehr hoch geblieben sind und nur wenige Personen von der erleichterten Einbürgerung profitieren. So hat die Schweiz mit rund zwei Prozent eine der tiefsten Einbürgerungsquoten Europas. Der Nationalrat hat nun mit 117 zu 73 Stimmen eine parlamentarische Initiative der Staatspolitischen Kommission unterstützt, welche die Bedingungen weniger restriktiv gestalten will und den Abbau von Verwaltungshürden verlangt. 

Die Vorlage geht nun in den Ständerat, der das Anliegen ebenfalls unterstützen muss. Danach werden die Details erarbeitet. 

5. Pflegeinitiative

500 Millionen für die Ausbildung

Unter Dach und Fach ist der erste Teil der Umsetzung der Pflegeinitiative. Mit 500 Millionen Franken unterstützt der Bund während 8 Jahren die Ausbildungsoffensive von Schweizer Heimen und Spitälern. Der Mechanismus ist so konzipiert, dass die Kantone 500 Millionen bereitstellen und der Bund diese Beträge verdoppelt. Es liegt also in der Verantwortung der Kantone, dass sie Geld einsetzen und damit die Bundesgelder auslösen. Gerade der Kanton St. Gallen ist hier noch nicht vollständig auf Kurs. 

Die Ausbildungsoffensive ist vom Nationalrat in der Schlussabstimmung mit 144:40 bei 12 Enthaltungen angenommen worden. Die SVP konnte sich einmal mehr nicht für eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe aussprechen – nach dem Prinzip nein sagen und keine Lösungen präsentieren. Schwieriger wird nun die Umsetzung des zweiten Teils der Pflegeinitiative. Dieser betrifft die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege, damit die ausgebildeten Fachkräfte auch im Beruf bleiben. Dafür sind die Aufwertung und die finanzielle Anerkennung des Berufsstandes dringend notwendig. 

Fünf Flops 

1. Biodiversität

Angriffe auf Schutzflächen und den Wolf

Die Biodiversität und Ziele beim Dünger standen in dieser Wintersession wieder einmal unter Beschuss, im wahrsten Sinne des Wortes. Immerhin wissen nun dank unserer neuen Bundesrätin Élisabeth Baume-Schneider alle Schweizer*innen, was Schwarznasenschafe sind.

Zurück zur Sache: Es stellt sich immer mehr heraus, dass unter dem Vorwand der Versorgungssicherheit von Energie und Nahrungsmitteln die Bürgerlichen den Umweltschutz massiv aushebeln wollen.

Gewohnt emotional ging es beim Thema Wolf zu und her. Dass bei grossen Schäden trotz ausreichender Schutzmassnahmen etwas unternommen werden soll, ist eigentlich anerkannt. Das vorgelegte, revidierte Jagdgesetz geht aber deutlich darüber hinaus. Wolfsrudel sollen zukünftig in den Herbst- und Wintermonaten vorsorglich «reguliert» werden dürfen, unabhängig von Schäden oder dem regionalen Bestand. Der Nationalrat stimmt in der Schlussabstimmung mit 111:69 (16 Enthaltungen) deutlich für die Revision.

Die deutliche Ansage aus dem Ständerat, mit schwerwiegenden Massnahmen im Umweltschutz, die Nahrungsmittelproduktion zu intensivieren, scheiterte im Nationalrat teilweise.

So fand unter anderem der Antrag auf Aufschub des Ziels von 3.5% Biodiversitätsförderflächen in der Landwirtschaft keine Mehrheit und auch nicht der Antrag, sie ganz als Ziel zu streichen (97:89 Stimmen). 

Ebenfalls abgelehnt wurde mit 85:104 Stimmen der Antrag, den Senkungspfad bei Pestiziden und Nährstoffen (eine Folge des Gegenvorschlags der Trinkwasserinitiativen) zu reduzieren, um mehr Lebensmittel zu produzieren. Ein ähnlich lautender Antrag wurde aber mit 93:90:7 angenommen. 

Die Serie solcher Vorstösse wird nicht so rasch abreissen. Eine wichtige Rolle dabei ist auch das Powerplay der Bauernlobby. Ernährungssicherheit gegen Biodiversität – obwohl hinlänglich bekannt ist, dass langfristig das erste nicht ohne das zweite auskommt. 

2. Keine Prämienverbilligungen

Mitte-Partei schwenkt um – Ständerat verwirft Prämienverbilligung

Im letzten Sessionsbrief habe ich noch geschrieben, dass der Ständerat bei der Beratung zur Aufstockung der Prämienverbilligung um 30 Prozent eine «Zusatzschleife» einlegt. Jetzt hat sich gezeigt, dass unsere Bemühungen im Nationalrat umsonst waren. Die Mitte, welche das Vorhaben im Nationalrat noch unterstützte, ist umgeschwenkt und hat die Vorlage zusammen mit der SVP und der FDP versenkt.

Immerhin den AHV-Teuerungsausgleich konnten wir retten.

3. Tonnagesteuer

Das nächste Steuergenschenk für Grosskonzerne

Es ist nichts neues, dass die Bürgerlichen gerne Steuergeschenke an Reiche und Grosskonzerne machen. Auf die Spitze treiben SVP, FDP und Mitte diese «Politik für Reiche» nun mit der geplanten Tonnagesteuer. Neu sollen nicht mehr die Gewinne von grossen Reedereien wie MSC, welche ihren Sitz in der Schweiz haben, besteuert werden, sondern die Ladekapazitäten der Schiffe. Davon profitieren neben den umweltschädlichen Reedereien auch Rohstoffhändler. Der Nationalrat hat dieser völlig willkürlichen Steuersenkung mit 99 zu 85 Stimmen zugestimmt. 

Die Vorlage muss noch in den Ständerat. Dort kommt sie wahrscheinlich auch durch. Für die SP bedeutet dies, wiederum zu prüfen, ob sie ein Referendum ergreifen will. Die letzten beiden Steuerreferenden haben wir gewonnen, bei diesem dürfte es auch wieder so herauskommen. 

4. Mindestlohn

Parlament hebelt Mindestlöhne aus

Unter dem Titel der Motion von Ständerat Ettlin kann man sich verschiedenes vorstellen: «Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen.» Unsereins denkt da an die Bedingungen für die Arbeitnehmenden. Nicht so diese Motion, die verlangt, dass kantonale Mindestlohnbestimmungen ausgehebelt werden können! Nur gerade 5 Kantone haben dieses Instrument gegen Lohndumping eingeführt und wollen es auch behalten. Selbst der Bundesrat ist gegen diese Vorlage. Nicht so der Nationalrat: mit 95:93:4 Stimmen nimmt er die Motion an.

5. Budgetdebatte 

Nicht mehr Geld für Ukraine-Winterhilfe & Green-climate-fund

In der ersten Sessionswoche habe ich bei der Budgetdebatte im Nationalrat eine Verdoppelung des Beitrags von 100 Millionen an die Winterhilfe in der Ukraine und eine Erhöhung von 50 Millionen für den Green Climate Fund beantragt. Bei beiden Anträgen geht es darum, Menschen in Notsituationen zu unterstützen. Mehr dazu gibt’s im Video. Leider wurden beide Anträge von der Ratsmehrheit abgelehnt. Ohnehin ging das ganze Budget fast ohne Korrekturen durch. Bei rund 80 Milliarden ist das doch erstaunlich.

Extra 🎉

Paul Rechsteiners letzter Streich

Schnellere ÖV-Verbindungen nach St. Gallen

Eine Ära ging in dieser Wintersession zu Ende. Mein St. Galler Parlamentskollege Paul Rechsteiner, unser Paul, tritt nach 36 Jahren Bundespolitik von der politischen Bühne ab. Vielen Dank lieber Paul für deinen Einsatz – deine Arbeit war immer eine Inspiration für mich.

In seiner letzten Session gelang es Paul nochmals eine wichtige Mehrheit zu schmieden. Er konnte dank geschicktem Vorgehen im Parlament erreichen, dass der Bundesrat endlich vorwärts machen muss, bei der Verkürzung der Reisezeit auf der Zugstrecke zwischen St. Gallen und Winterthur, bzw. Zürich. Danke Paul!

Feedback?

So viel zur Wintersession. Was haltest du von den Beschlüssen? Teile es mir mit, ich bin gespannt auf Rückmeldungen und Ideen.

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Herzliche Grüsse und schöne Festtage wünscht euch
Claudia Friedl 

Übrigens: Mehr über meine politische Arbeit findest du laufend auf FacebookInstagram oder auf meiner Website.