Sessionsbrief Frühjahrssession

Liebe Leser:innen

Wenn die Tage wieder länger werden, die ersten Blumen blühen und in den Läden viel zu früh Erdbeeren und Spargeln angeboten werden, dann ist es Zeit für die Frühjahrssession. Gerne berichte ich euch über einige der Geschäfte der vergangenen drei Wochen. 

Fünf Tops  

1. Menschenrechte in Iran
Einhaltung der Menschenrechte und Übernahme aller EU-Sanktionen

Aussenpolitisch gelangen uns zwei wichtige Erfolge betreffend der Situation in Iran, wo das Regime die feministische Revolution brutal niederschlägt. Zu Beginn der Session haben wir im Nationalrat eine Erklärung aus der Aussenpolitischen Kommission verabschiedet (107 ja : 71 nein), welche die Freilassung der politischen Gefangenen im Iran, die Abschaffung der Todesstrafe, eine Fact-Finding Mission zu den Verletzungen der Menschenrechte sowie die Durchführung demokratischer Wahlen verlangt. Später in der Session unterstützte der Nationalrat mit 105:65 Stimmen bei 4 Enthaltungen einen Vorstoss, der den Bundesrat beauftragt, sämtliche EU-Sanktionen gegen das iranische Regime zu übernehmen. 

Women! Life! Freedom!  –  unsere Unterstützung am internationalen Frauentag am 8. März und darüber hinaus.

2. Energiemantelerlass – Die Monstervorlage
Einigung möglich – aber es herrscht Absturzgefahr

141 Seiten umfasste die Fahne des sogenannten «Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien». Über 10 Stunden diskutierten wir im Nationalrat über diese bedeutende Vorlage, welche sich im Spannungsfeld zwischen den Klimazielen, der Energieversorgung und dem Natur- und Landschaftsschutz befindet. Die Klima- und Energiekrise darf aber nicht gegen die Biodiversitätskrise ausgespielt werden.
Es ist klar, zur Erreichung des Klimaziels braucht es den Umstieg auf erneuerbare Energien und zwar rasch. Den Versuch von SVP und FDP, wieder auf AKWs zu setzen, konnten wir abwehren. Einen vorläufigen Erfolg konnten wir bei der Solarpflicht für Neubauten erzielen. Ebenfalls ein wichtiger Erfolg gelang uns, indem wir den Schutz der Biotope von nationaler Bedeutung sowie in Wasser- und Zugvogelreservaten weiterhin aufrechterhalten. Nicht abwenden konnten wir unter anderem die Pflicht auf Ausgleichs- und Ersatzmassnahmen, die massive Schwächung bei den Restwasservorschriften bei Wasserkraftwerken. Bei den Windkraftanlagen braucht es noch Präzisierungen in der Planung. Ich musste feststellen, dass diejenigen Kreise, die sich immer schon um den Biodiversitätsschutz foutiert haben, nun versuchen, alle Schutzbestimmungen niederzureissen. Die jetzige Vorlage ist noch nicht ausgewogen aber der Ständerat kann noch korrigieren. Wir brauchen aufgrund der Dringlichkeit unbedingt eine tragfähige Vorlage, die auch in einer Volksabstimmung bestehen kann. 

3. Sexualstrafrecht
Historischer Fortschritt beim Sexualstrafrecht

Nachdem wir in der Wintersession im Nationalrat dem Prinzip «nur Ja heisst Ja» beim Sexualstrafrecht zugestimmt hatten, wurde nun ein Kompromiss mit dem Ständerat gefunden, der sehr zufriedenstellend ist. Zwar bleibt das Prinzip «Nein heisst Nein» im Gesetz verankert, allerdings wurde unsere zentrale Forderung, die Schockstarre ebenfalls als Nein anzuerkennen, ins Gesetz aufgenommen. Ein zentrales Element des neuen Gesetzes ist auch, dass Tatpersonen zu Lernprogrammen verpflichtet werden können, um Wiederholungstaten zu reduzieren. 

4. Gendermedizin
Geschlechterspezifische Erforschung und Behandlung von Krankheiten

Wie so vieles, ist auch die medizinische Forschung seit ihrer Begründung stark auf Männer ausgerichtet. Häufig gilt der Mann in der Medizin als «Prototyp». Erfreulicherweise hat das Parlament nun eine Motion definitiv verabschiedet, welche verlangt, dass frauenspezifische Auswirkungen von Krankheiten und Beschwerden gezielter erforscht werden und damit die Qualität bei der Behandlung von Krankheiten bei Frauen verbessert wird. Ähnliche Bestrebungen gibt es auch bei Kindern, die eben nicht einfach «kleine Erwachsene» sind, sondern deren Organismus anders reagiert.

5. Internationales Meeresschutzabkommen und Umwelt
Schweiz muss das Abkommen zügig unterzeichnen 

Eine freudige Nachricht erreichte uns aus der internationalen Politik: Die UNO-Mitgliedstaaten einigten sich am 5. März 2023 auf ein Abkommen zum Schutz der „Hohen See“, was einer Fläche von zwei Dritteln der Ozeane entspricht. Damit dieses Abkommen in Kraft tritt, müssen es mindestens 60 Staaten ratifizieren. Ich habe vom Bundesrat gefordert, dieses Abkommen zu unterzeichnen und sich auch in der internationalen Diplomatie für eine erfolgreiche Umsetzung einzusetzen. Der zuständige Bundesrat Rösti zeigte sich noch zurückhaltend – ich bleibe dran. Erfreulich war in diesem Zusammenhang aber auch, dass im Parlament die Verlängerung und Erhöhung des Rahmenkredits für die globale Umwelt von 197.75 Millionen Franken für die Jahre 2023-2026 unbestritten durchging, nur die SVP stellte sich dagegen, was nicht weiter überraschte. 

Fünf Flops 

1. Landwirtschaftsgesetz AP 22+ 
Umweltschädliches Gesetz kommt durch

Ein grosser Frust der diesjährigen Session war die Beratung der Agrarpolitik 22+. Die bürgerliche Mehrheit verhinderte sowohl verbindliche CO2 Ziele für die Landwirtschaft (81 ja zu 107 nein Stimmen), als auch einen schrittweisen Ausbau des Tierwohls, den meine Ratskollegin Martina Munz forderte (85:107). Auch bei der sogenannten Absatzförderung (also Marketingmassnahmen) für Landwirtschaftsprodukte, wird keine Priorisierung auf klima- oder tierfreundliche Produkte gelegt. Wenn hier die Bauernlobby der traditionellen Landwirtschaft rund um Mitte Nationalrat Markus Ritter mit der FDP und der SVP zusammenspannt, ist kaum etwas auszurichten. Diese konservative Politik geht auf Kosten der Biodiversität, des Tierwohls und der Klimaziele. 
Die Einzige positive Nachricht der AP22+: Es gelang uns, dass Direktzahlungen des Bundes nur noch an Betriebe erfolgen, die ihre Mitarbeitenden korrekt bei den Sozialversicherungen anmelden – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. 

2. AHV-Teuerungsausgleich 
Gespaltene «Mitte» verhindert mit GLP, SVP und FDP den Teuerungsausgleich für Rentner:innen

Die Teuerung spüren vor allem die Menschen, welche wenig Vermögen haben. Bei den Pensionär:innen sind das oft Personen, welche ihren Lebensunterhalt grösstenteils mit der AHV finanzieren. Um so wichtiger wäre es gewesen, hier den Renter:innen den vollen AHV-Teuerungsausgleich zu bezahlen. Leider haben dies die GLP, die FDP und die SVP, sowie einige «Abweichler:innen» aus der Mitte verhindert. Im Nationalrat viel die Vorlage mit 92 zu 97 Stimmen durch, im Ständerat denkbar knapp mit 20:21 Stimmen – hier zeigt sich einmal mehr, wie wichtig eine linke Vertretung im Ständerat für den Kanton St. Gallen ist. Der volle Teuerungsausgleich ist damit definitiv vom Tisch. 

3. Pensionskassenreform
Bürgergliche brechen ihre Versprechen

Bei der Abstimmung über die AHV-Reform haben die Bürgerlichen versprochen: Frauen und Geringverdienende werden bei der PK-Reform berücksichtigt. Herausgekommen ist eine klar ungenügende Abbauvorlage bei den Pensionskassen. Da wird zum einen der Umwandlungssatz von 6.8 auf 6.0 gesenkt, das bedeutet geringere Renten für alle Neurentner:innen, während also die monatlichen Lohnbeiträge bei tiefen Einkommen deutlich steigen, gibt es kaum ein paar Franken mehr Rente. Wenn es ganz dumm läuft, fallen noch die EL-Beiträge weg und damit sinkt das Einkommen. Die beschlossenen Ausgleichsmassnahmen für die Übergangsgeneration sind klar ungenügend. Zu wenige Personen profitieren davon. Zudem bemängeln wir, dass die Selbstbedienungsmentalität vieler Pensionskassen und Vermögensverwaltungsinstitute, welche jedes Jahr Milliarden einstreichen, nicht gestoppt wird. Übrig bleibt ein Scherbenhaufen. Dagegen ergreifen wir das Referendum. 

4. 13. AHV-Rente
Eine verpasste Chance

Eine gute Möglichkeit bei den Renten endlich eine Verbesserung zu schaffen, welche allen und insbesondere Geringverdienenden und Frauen nützt, ist die Initiative für eine 13. AHV-Initiative. Leider wurde diese vom Nationalrat (69:129:2) abgelehnt. Das letzte Wort hat aber das Volk. Eine Überraschung liegt im Bereich des Möglichen.

5. Autobahnanschluss Wil-West
Rösti will am Autobahnanschluss festhalten

Nach dem Volksnein zum Industrieprojekt Wil-West ist für mich klar, dass dieser dritte Autobahnanschluss innerhalb von 7 Kilometern gestrichen werden muss. Ich habe deshalb den zuständigen Bundesrat Rösti in der Fragestunde gefragt, ob der Bundesrat nach dem Nein der Bevölkerung den Autobahnanschluss streicht. Dies ist derzeit leider nicht geplant. Ein Hoffnungsschimmer ist immerhin, dass der Bundesrat die weitere Entwicklung in Wil beobachten will. Es lohnt sich also, sich weiterhin gegen den Industriepark einzusetzen, der 3000 Arbeitsplätze auf der grünen Wiese bringen soll und den die St. Galler Regierung mit einem allfälligen Verkauf des Areals an den Kanton Thurgau anstrebt. 
Hier geht’s zum Vorstoss.
Hier zum Artikel im Tagblatt (Paywall) 

So ging am Freitag eine reichbefrachtete Session zu Ende. Unsere neue Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider trat das erste Mal im Plenum auf. Der Wechsel war sofort spürbar. Das Wort «illegale» Migration ist aus dem Diskurs gestrichen. Es wird endlich wieder von Menschen gesprochen, von Menschen, die auf der Flucht sind. Ich freue mich, dass wir wieder ein sehr motivierte SP-Bundesrätin haben. 

Ich wünsche euch einen schönen Frühling!

Herzliche Grüsse
Claudia Friedl