Auf zum 1. Mai: Gestern, heute und morgen!
Claudia Friedl, Nationalrätin
Geschätzte Genossinnen und Genossen
Ich freue mich, mit euch den 1. Mai zu feiern. Dieser symbolträchtige Tag ist für uns seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert von grösster Bedeutung. Mit den Streiks in den USA am 1. Mai 1886 für die Einführung des 8- Stunden Tages wurde der Grundstein gelegt für die Arbeiter*innenkämpfe dieser Welt: Gestern, heute und morgen.
Gestern – Gestern kämpften die Arbeiterinnen und Arbeiter für bessere Bedingungen in den Fabriken, für das Verbot von Kinderarbeit, für Gesamtarbeitsverträge, für Schutz der Gesundheit und Sicherheit. Sie kämpften gegen die oft desaströsen Arbeitsbedingungen während der Industrialisierung und für das Recht auf eine gesunde Umwelt.
Gestern kämpften sie für die Einführung der 48 Stunden Woche, später für die 5-Tage Woche, für verpflichtende Ruhezeiten, für das Verbot von Nachtarbeit, für die Einführung von bezahlten Ferien.
Gestern kämpften sie für die Einführung unserer Sozialwerke. Für die AHV, der wohl grössten sozialen Errungenschaft in der Schweiz die einen würdigen Lebensabend ermöglichen soll.
Gestern kämpften wir für den Schutz der Frauen. Für die schrittweise Einführung des Mutterschaftsurlaub, für das Stimmrecht, für ein Eherecht, welches Frauen selbst Arbeitsverträge unterzeichnen lässt und für den Schutz am Arbeitsplatz.
Die Geschichte des 1. Mai ist eine Geschichte der Errungenschaften für die Arbeiterinnen und Arbeiter. Sie ist eine Erfolgsgeschichte, aber alles musste hart erkämpft werden. Und wir sind noch nicht am Ziel. Unsere Fortschritte sind nicht für die Ewigkeit gesichert.
Heute – Heute kämpfen wir immer noch für Renten, welche ein würdiges Altern ermöglichen. Hier führen wir einen Abwehrkampf gegen Rentenkürzungen, soeben erst gegen die Erhöhung des Rentenalters für die Frauen bei der AHV und jetzt gegen Kürzungen der FDP, SVP, Mitte und GLP bei den Pensionskassen. Aber bitte, lässt sich mit 1225.-, was der minimalen Vollrente entspricht, etwa leben? Nein! Aber es ist nicht zu wenig Geld da, es ist ungleich verteilt und die Schere geht weiter auf. Deshalb kämpfen wir jetzt für eine 13. AHV-Rente.
Heute kämpfen wir für die Lohngleichheit. Frauen verdienen heute noch 18 Prozent weniger als Männer, die Hälfte davon ist «unerklärt»! das muss sich ändern!
Heute kämpfen wir für die Anerkennung und Bezahlung von Care-Arbeit. Die Betreuungsarbeit, welche im Haushalt und im Privaten geleistet wird. Die oft unsichtbar und unbezahlt ist, und meistens von Frauen verrichtet wird.
Heute kämpfen wir für eine angemessene Elternzeit. Wir kämpfen für mindestens 20 Wochen Elternzeit.
Heute ringen wir noch immer um eine Verkürzung der Arbeitszeit und um faire Löhne. Die Arbeiterinnen und Arbeiter leisten immer mehr und die Produktivität ist in den letzten Jahrzehnten massiv gestiegen, die Wochenarbeitszeit und die Anzahl bezahlter Ferienwochen bleibt aber unangetastet. Der höhere Gewinn daraus landet in den Taschen der Aktionärinnen und Aktionären oder fliesst als Boni an das Topkader der Banken. Das können wir nicht akzeptieren. Der Arbeitgeberverband Direktor plädierte letzte Woche für längere Arbeitszeiten, das ist unhaltbar!
Der 1. Mai und die damit verbundenen Kämpfe der Arbeiterinnen und Arbeiter haben heute nicht an Wichtigkeit eingebüsst. Unser voller Einsatz für eine gerechtere Arbeitswelt ist weiterhin notwendig. Doch wohin wollen wir? Wofür kämpfen wir? Wie sieht eine Welt von morgen aus, in der wir unsere Kämpfe gewonnen haben?
Morgen – morgen verdienen alle Arbeiterinnen und Arbeiter für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn. Ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gibt es nicht mehr, weil der Mindestlohn zu einem guten Leben reicht. Menschen, welche Kinder grossziehen oder Angehörige betreuen, sind ausreichend finanziert, weil Care-Arbeit anerkannt und entlöhnt ist. Und auch wer die Anforderungen der modernen Leistungsgesellschaft nicht erfüllen kann, ist finanziell abgesichert, um in Würde zu leben. Altersarmut gibt es nicht, weil die Renten zum Leben ausreichen. Der Wert einer intakten Natur und vielfältiger Lebensräume ist anerkannt.
Morgen gibt es keine Manager*innen mehr das einzige Ziel haben, sich schamlos zu bereichern und dass von den Arbeiter*innen erwirtschaftete Vermögen bei einigen wenigen zu konzentrieren, denn die Unternehmensstrukturen von morgen sind demokratisch und genossenschaftlich.
Morgen steht unser Wirtschaftssystem nicht mehr im Widerspruch zur Umwelt. Unsere Wirtschaft ist klimaneutral und beutet die Ressourcen unseres Planeten nicht mehr aus. Der Natur und Biodiversität – unsere Lebensgrundlagen – treten Unternehmen respektvoll gegenüber.
Morgen, vielleicht auch erst übermorgen ist Arbeit von Zwängen befreit. Der 1. Mai ist dann kein Kampftag mehr, sondern ein Festtag.
Geschätzte Genossinnen und Genossen, zurück in der Realität von heute ist vieles nicht einfach, vieles bleibt zu tun, vieles ist noch unerreicht, aber wir dürfen auch stolz zurück blicken auf die Geschichte des 1. Mai`s und die damit verbundenen Fortschritte. Daraus können wir Mut und Hoffnung schöpfen, dass wir auch weitere Ziele erreichen können. Denn gemeinsam sind wir viele. Viele die einstehen für die Rechte der Arbeiter*innen, für die Menschen, für eine bessere Welt.
Ihr alle hier, seid Teil dieser Bewegung, dafür danke ich euch herzlich. Danke, dass ihr Teil seid des Kampfes für gerechte Arbeitsbedingungen und eine bessere Welt von heute, morgen und übermorgen.
Ich wünsche uns allen einen schönen 1. Mai!