Sessionsbrief Sommer 2024
Liebe Leser:innen
Die Sommersession ging soeben zu Ende. Das Klassenlager löst sich auf. Aber vor der Abfahrt gibt es noch ein Foto zum heutigen Frauensteiktag auf dem Bundeplatz. Die diesjährige Session wurde stark geprägt von Finanzfragen und der Sicherheitspolitik, sowie der Migration. Der Bund hat zu wenig Geld.
kurz & kompakt:
- Der Staat hat zu wenig Geld. Das Armeebudget soll trotzdem massiv erhöht und die Ukrainehilfe ausgebaut werden. Die Sparangriffe zielen besonders auf die Entwicklungszusammenarbeit und auch auf die Bildung.
- Das AKW-Verbot bleibt (vorerst) erhalten, mehr Umweltverantwortung gibt es aber nicht.
- Im Asylwesen stehen die Zeichen weiter auf Verschärfung, aber immerhin bleibt das Recht auf Asyl für Afghanische Frauen. Schlechter wird’s für Menschen aus Eritrea und der Ukraine.
- Der Versuch, Palästina als unabhängigen Staat zu anerkennen, misslingt.
- Das Foltergesetz wird neu und Stalking gilt neu als Straftatbestand «Nachstellung»
- Der Nationalrat schliesst sich der kritischen Erklärung des Ständerats zum Urteil des EGMR in der Klage der Klimaseniorinnen an.
- Endlich gibt es wieder Doppelnamen! Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt.
- Schweizer:innen sollen die gleichen Rechte beim Familiennachzug haben wie Bürger:innen aus der EU und dem EWR. Das passt der SVP nicht.
Migration
Weiter Asyl für Afghan*innen
Seit der Machtübernahme der Taliban hat sich die Situation für Frauen in Afghanistan massiv verschlechtert. Gemäss der Europäischen Asylagentur sind die Grundrechte der Frauen systematisch eingeschränkt. Aus diesem Grund gewährt die Schweiz seit dem Sommer 2023 den Afghaninnen Asyl. Das passte den Bürgerlichen aus FDP und SVP nicht. Mit einer Motion wollten sie dieses humanitäre Vorgehen bodigen. Mit einer Stimme Unterschied (91:92) konnten wir die Motion verhindern und das Recht auf Asyl für die afghanischen Frauen schützen.
Angriffe auf das Asylrecht im Ständerat
Der Angriff auf das Asylrecht geht weiter. Der Ständerat hat es jetzt vor allem auf die Menschen aus der Ukraine abgesehen. Dabei spielen die zwei Ständerät:innen aus dem Kanton St. Gallen eine zentrale Rolle. Ständerat Benedikt Würth verlangt in einer angenommene Motion, dass Ukrainer:innen mit Schutzstatus-S die Schweiz nicht mehr länger als zwei Wochen verlassen dürfen. Das ist reine Schikane! Ständerätin Esther Friedli ihrerseits verlangt, dass nur noch Menschen aus Gebieten in der Ukraine Asyl erhalten sollen welche in russisch besetzten Gebieten leben oder in denen Kampfhandlungen stattfinden. Eine populistische Haltung, denn niemand kann wissen, wo die Raketen morgen wieder einschlagen.
Aber auch die FDP macht mit. Ständerätin Gössi brachte mit einer Motion erfolgreich den Vorschlag ein, dass abgewiesene Eritreer:innen über einen Drittstaat nach Eritrea zurückgeführt werden sollen (weil Eritrea keine Flüchtlinge zurücknimmt). Ähnlich dem Ruanda Deal von Grossbritanien. Diese Forderung ist unmenschlich, teuer, und kaum umzusetzen. Damit verstösst die Schweiz auch gegen die UNO-Flüchtlingskonvention.
Diese schrägen Beschlüsse aus der „Kammer der Reflexion“ müssen wir im Nationalrat mit aller Kraft bekämpfen.
Aussenpolitik/ Sicherheitspolitik
Palästina
Der Nationalrat lehnte unseren Vorstoss für eine Anerkennung Palästinas als eigenständigen Staat leider ab. Ein nachhaltiger Frieden kann wohl nur mit einer Zweistaatenlösung erreicht werden. Das ist auch die Haltung der offiziellen Schweiz. Die Anerkennung wäre ein erster Schritt. Das entsprechende Postulat wurde nach einer emotionalen Debatte mit 131 zu 61 Stimmen und 2 Enthaltungen abgelehnt, nur die SP und die Grünen unterstützten es.
Ukraine
In der letzten Sessionswoche war der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk zu Gast im Bundeshaus. Über das peinliche Verhalten der SVP Exponenten Aeschi und Graber wurde in den Medien ausführlich berichtet. Zufälligerweise befand ich mich auch gerade auf dem Gang im 1. Stockwerk und konnte die Situation ebenfalls beobachten. Einfach gschämig, wie die 2 Parlamentarier (wahrscheinlich auf dem Weg zum Apero) auftraten. Bei der anschliessenden offiziellen Begrüssung des Gasts im Ratssaal fehlten die meisten SVPler, ebenso bei der direkten Aussprache mit Präsident Stefantschuk im Sitzungssaal über den Mittag. Seine Antworten auf unsere Fragen waren klar und deutlich: die Ukraine will überleben, die Menschen und der Staat.
Im Bild: Der Ukrainische Parlamentspräsident (rechts, stehend), sowie rechts neben ihm die ukrainische Botschafterin in der Schweiz.
Entwicklungszusammenarbeit
Der Ständerat schlägt vor, die Entwicklungszusammenarbeit drastisch, um ein Drittel zu kürzen, um die Armee und die Hilfe für die Ukraine zu finanzieren. Der Vorschlag ist desaströs und ein Skandal. Auf dem Buckel der Ärmsten wollen wir unsere Armeeausgaben erhöhen. Wir versuchen zusammen mit NGOs, vernünftigen Ständerät:innen und Nationalrät:innen andere Mehrheiten zu beschaffen. Die Diskussion ist erst angelaufen und muss noch in die Kommissionen und dort vertieft weitergeführt werden. Aber die Vorlage ist denkbar schlecht und das zu einer Zeit, in der 300 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind und 1.5% der Weltbevölkerung auf der Flucht ist. Bringen wir keine Verbesserung durch, können wir den Mythos der humanitären Schweiz endgültig begraben.
Umwelt/ Energiepolitik
AKW-Verbot wackelt
Mit 97 zu 88 Stimmen bei 6 Enthaltungen lehnten SP, Grüne und GLP sowie die Mehrheit der Mitte-Partei eine Motion von Erich Hess (SVP) ab, welche das AKW-Neubauverbot von 2017 aufweichen wollte. Das ist ein wichtiger Teilsieg. Das Thema ist aber noch nicht vom Tisch. Es ist der AKW-Lobby nämlich gelungen, eine Initiative für die Aufhebung des Verbots erfolgreich zu sammeln. So wird das Thema erneut vor das Volk kommen.
Umweltverantwortungsinitiative der jungen Grünen
Sehr oft sprechen wir im Parlament über Generationengerechtigkeit als wichtiges Element unseres Handelns. Dabei geht’s aber meist um das Geld: Keinen Schuldenberg hinterlassen. Keine Schulden – aber ein zerstörter Planet darf es dann sein? Genau hier setzt die Umweltverantwortungs-Initiative an. Sie basiert auf dem Instrument der planetaren Belastbarkeitsgrenzen. Die Gesamtwirtschaft darf langfristig diese Grenzen nicht überschreiten, sonst geht es eben auf Kosten der kommenden Generationen. Das Anliegen fand im Parlament erwartungsgemäss kein Gehör, auch ein Gegenvorschlag nicht. Mein Votum für die Initiative gibts hier als Video. Meine Vorstösse und Voten in der Sommersession laufen aktuell auf parlament.ch
Interpellation zum Temperaturanstieg in der Schweiz
Aktuelle Daten des Bundesamts für Meteorologie zeigen, dass die Temperatur in der Schweiz seit der vorindustriellen Zeit um 2,8 Grad gestiegen ist, was häufiger zu extremen Wetterereignissen wie Hitzewellen, Starkregen und Trockenperioden führt. Die Frage stellt sich, ob Hochwasserschutzmassnahmen auf die neuen Szenarien angepasst und weitere Massnahmen ergriffen werden müssen.
Fragestunde zu Pestiziden in Schweizer Bächen
Eine EAWAG-Studie zeigt, dass in über 70% der untersuchten Bäche empfindliche Insektenlarven und Kleinlebewesen fehlen, was auf Pestizide und schlechte Gewässerstrukturen zurückzuführen ist. Der Bundesrat legt dar, dass es gemäss Landwirtschaftsgesetz das Ziel sei, bis 2027 die Risiken durch Pestizide um 50% zu reduzieren gegenüber dem Jahr 2012. Zudem sollen bis 2090 (!) rund 4000 Kilometer Gewässer revitalisiert werden. Das ist doch ein weiter Zeithorizont!
Proteste gegen Verhaftungen von HDP-Anhängern in der Türkei
Seit den Unruhen in Kobane 2014 sind zahlreiche HDP-Anhänger in Haft. Der EGMR stufte die Verhaftungen als politisch motiviert ein und forderte mehrfach die Freilassung der Gefangenen. Am 16. Mai wurden 24 Angeklagte, darunter die ehemaligen Co-Vorsitzenden der HDP, zu langen Haftstrafen verurteilt. Gemäss Bundesrat hat der Staatssekretär des EDAs in Ankara die Umsetzung der EGMR-Urteile und die Freilassung von Selahattin Demirtaş gefordert. Es ist wichtig, dass die Schweiz das tut und es wäre gut, wenn sie das auch öffentlich macht.
Weitere Fragen stellte ich dem Bundesrat zur russischen Propagandaplattform «Voice of Europe» (zur Antwort – nur auf französisch verfügbar), zu zunehmenden Repressionen gegen Frauen im Iran (zur Antwort), sowie zur Kriminalisierung von Homosexualität in Irak (zur leider dürftigen Antwort des Bundesrats).
Herzliche Grüsse und eine schöne Sommerzeit!
Claudia Friedl