Sessionsbrief Herbstsession 2024
Liebe Politikinteressierte, liebe Freundinnen und Freunde
Die Herbstsession ging soeben zu Ende. Wie gewohnt melde ich mich bei euch mit meinem persönlichen Rückblick auf die Session. Die Schwerpunkte in dieser Session waren von der geopolitischen Grosswetterlage geprägt: Die Sicherheits- & Migrationspolitik waren tonangebend. Mehr Geld für die Sicherheitspolitik bedeutet aus bürgerlicher Logik weniger Geld in allen anderen Bereichen. Dementsprechend fahren SVP, FDP & Mitte einen zermürbenden Sparkurs. Niemand von ihnen verlangt nach Mehreinnahmen zur Finanzierung von wichtigen Aufgaben oder gar Zukunftsprojekten. Aus meiner Sicht haben wir nicht wie Karin Keller-Sutter behauptet ein «Ausgabenproblem», sondern ein «Schuldenbremsenproblem». Dieses Instrument der Budgetdisziplin ist viel zu eng ausgelegt. Aber für eine Anpassung gibt es keine Mehrheit im Parlament. Paradox ist auch, dass während gewisse Kantone wie Zug und Basel im Geld schwimmen, beim Bund die Kasse klamm ist. Mehr über müssige Spar- und Migrationsdebatten aber wenigstens einige Lichtblicke gibt’s im Sessionsrückblick.
Viel Spass!
Kurz & kompakt:
- 4 Milliarden mehr für die Armee. Wofür dieses Geld verwendet werden soll, weiss eigentlich niemand so genau. Vielmehr geht es «ums Prinzip». Woher das Geld kommen soll, bzw. wo es gespart wird, bleibt in dieser Session ungeklärt.
- Lichtblick bei der KITA-Anschubfinanzierung: Die Anschubfinanzierung wird bis 2026 fortgesetzt.
- Lärmschutz unter Druck: Nur noch bei einem Fenster muss der Grenzwert eingehalten werden.
- Erfolg im Kampf gegen Kindesmissbrauch: Verpflichtende Präventionskonzepte in Vereinen & Institutionen passieren den Erstrat (Nationalrat).
- Menschenrechte unter Druck: Die SVP attackiert das Asylrecht, die Menschenrechtskonvention und das UNRWA.
Sicherheitspolitik & Aussenpolitik
Armeebotschaft
Es ist ein Jammer. Um zusätzliche 4 Milliarden Franken wird das Armeebudget für die nächsten 4 Jahre aufgestockt auf neu 29.8 Milliarden Franken. Im Schatten des Ukrainekriegs wird die Armee also massiv aufgerüstet. Woher das Geld kommen wird, weiss niemand. Von reinen Sparmassnahmen, über einen rückzahlbaren Fonds bis hin zu «Extraprozente» bei der Mehrwertsteuer kursierten diverse Vorschläge. Enttäuschend war das Verhalten der Mitte. Sie machte einen Salto rückwärts, distanzierte sich vor ihrer eigenen Idee, einen Fonds zu schaffen und verhalf der Rechten zum Erfolg: Die Armee soll aufgerüstet werden mit Geld aus dem Kantonsanteil an den Bundessteuern (= weniger Geld für die Kantone), Einsparungen beim Bundes-Personal, Effizienzgewinne im VBS und zum grössten Teil bei der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist für uns unannehmbar. SP, Grüne und GL hielten deshalb geschlossen dagegen. Das reicht leider nicht mehr für eine Mehrheit. Die Internationale Zusammenarbeit wird so an die Wand gefahren. Für eines der reichsten Länder der Welt ein absolutes Armutszeugnis. Die Verhandlungen sind noch nicht fertig, so bleibt noch eine leise Hoffnung.
Intensive Debatte um die Armeefinanzen. Im Hintergrund Armeechef Thomas Süssli.
Angriff auf das UNRWA
Und wieder war das UNRWA, das Palästinenserhilfswerk der UNO, schwer in der Diskussion. Es wurde ein Stopp der Zahlungen an das Hilfswerk gefordert. Dies konnten wir zusammen mit Mitte-Vertreter:innen verhindern. So soll weiterhin Geld für die humanitäre Hilfe in den Gazastreifen fliessen, aber kein Geld darf für den Sockelbeitrag an das UNRWA verwendet werden. Das verlangte auch die ganze Mitte. Wir wehrten uns gegen diese neue Einschränkung, die es dem UNRWA verunmöglicht, die notwendige Logistik bereitzustellen – erfolglos. Zudem wurde noch ein Antrag überwiesen, der verlangt, dass die Existenzberechtigung des UNRWA abgeklärt und in der UNO thematisiert wird. Bundesrat Cassis ist somit nahe am Ziel, das UNRWA zum Verschwinden zu bringen. Der Ständerat wird sich noch damit beschäftigen.
Migration / Asyl
Asylgesetz Bundesasylzentren
Eigentlich wäre bei dieser Debatte vorgehsehen gewesen Massnahmen gegen Gewalt innerhalb von Schweizer Bundesasylzentren zu treffen. Ein Bericht von unserem Altbundesrichter Niklaus Oberholzer zeigt auf, dass es vereinzelt zu Machtmissbrauch durch das Personal in Asylzentren gekommen ist. Anstatt sachlich und lösungsorientiert über die Erweiterung der „Hausordnung“ zu diskutieren und den Schutz sowohl des Personals, als auch der geflüchteten Menschen zu verbessern, wurde daraus auf Antrag der SVP eine „Sondersession Asyl“.
Es ist zu begrüssen, dass in den Bundesasylzentren die Rechtsgrundlage geschaffen wird für eine Beschwerdemöglichkeit. Nicht einverstanden waren wir damit, dass für Minderjährige keine besondere Behandlung vorgesehen ist. Abgelehnt hatten wir die Möglichkeit, dass die privaten Sicherheitskräfte in den Asylunterkünften gewisse Waffen tragen dürfen. Wir hätten noch einiges geändert, stimmten am Schluss aber zu (gegen SVP und Grüne). Es braucht eine Regelung, diese ist besser als keine. Jetzt geht die Vorlage in den Ständerat.
Familiennachzug Kriegsflüchtlinge
Der Nationalrat hat mit Unterstützung der Mitte (zusammen mit SVP & FDP) mit 105:74 Stimmen (9 Enthaltungen) eine Motion verabschiedet, die den Bundesrat auffordert, den Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene zu verbieten. Auch wenn die Person für die Familie aufkommen kann, was heute schon verlangt wird, soll es nicht mehr gestattet sein. Man will damit Kriegsflüchtlinge davon abhalten, in der Schweiz um Asyl anzufragen. Eine unmenschliche Haltung. Die SP reagierte mit einer Online-Petition um gegen diese Massnahme zu protestieren. Innerhalb eines Tages kamen über 120’000 Unterschriften zusammen! Ein starkes Zeichen an den Ständerat. Und es wirkte: Der Ständerat schickte am nächsten Tag die Motion ohne materiell zu entscheiden, an seine Kommission, damit diese abklärt, ob dieses Vorgehen überhaupt mit der Bundesverfassung und der Menschenrechtskonvention vereinbar ist. Immerhin ein erster Erfolg.
Apropos Menschenrechtskonvention: Die SVP beantragte den Austritt der Schweiz aus der Konvention. Grund: Das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs in Strassburg zugunsten der Klimaseniorinnen und gegen die Schweiz. Die Voten der Bürgerlichen waren voll mit Drohungen gegen das Gericht, aber schlussendlich blieb die Austrittsforderung mit 121:65 ein Geschäft der SVP.
Umwelt/ Energiepolitik
Strategischen Infrastrukturen der Energiewirtschaft unter die Lex Koller
Dieses Geschäft hört sich komplizierter an, als es ist. Auf Vorstoss von Kollegin Badran sollen strategisch wichtige Schweizer Kraftwerke und Strom- und Gasnetze besser vor dem Verkauf an ausländische Investor*innen geschützt werden. Der Nationalrat stimmte dem Gesetzesentwurf mit 120 zu 67 Stimmen zu. Diese Mehrheit kam durch eine seltene Allianz von SVP, SP und Grünen zusammen. Widerstand gibt es von den neoliberalen Kräften in der FDP, Mitte und GLP. Die Vorlage geht nun an den Ständerat, wo Mitte und FDP besonders stark vertreten sind. Eine spannende Ausgangslage.
Lärmschutz
Im letzten Sessionsbrief berichtete ich bereits davon, dass der Ständerat den Lärmschutz in Wohnungen massiv schwächen will. Im Nationalrat konnten wir wenigstens eine Teilkorrektur erreichen. Wir konnten durchsetzen, dass in neuen Wohnungen an lärmigen Lagen wenigstens ein Raum über ein Fenster verfügen muss, bei dem die Lärmgrenzwerte bei offenem Fenster eingehalten werden. Der Bundesrat wollte, dass bei wenigstens 50% der Fenster die Grenzwerte eingehalten werden müssen, doch wir unterlagen mit diesem Vorschlag der bürgerlichen Mehrheit.
Gesellschaft & Kultur
Individualbesteuerung («Heiratsstrafe»)
Ehepaare und gleichgeschlechtliche Paare in einer eingetragenen Partnerschaft werden heute gemeinsam besteuert. Dies führt wegen der Steuerprogression oft zu höheren Steuern, als wenn die Personen zweimal einzeln besteuert würden. Das ist ein altes, bisher erfolgloses Anliegen von uns. Die jetzige Vorlage geht auf die sogenannten «Steuergerechtigkeits-Initiative» der FDP-Frauen zurück. Mit diesem Gegenvorschlag sollen in Zukunft alle Erwachsenen ihre eigene Steuerklärung ausfüllen – egal, ob verheiratet oder nicht. Der Hacken an der Sache: Je nach Ausgestaltung können grosse Steuerausfälle beim Bund entstehen. Man spricht von 1 Milliarde Franken. Damit sind wir noch nicht zufrieden. Wir haben in der Gesamtabstimmung der Änderung zugestimmt, weil das Prinzip stimmt und vom Ständerat noch verbessert werden kann. Der Gegenvorschlag passierte mit 98 zu 93 (1 Enthaltung) äusserst knapp. Dagegen stellten sich die SVP und die Mitte, die vor allem ideologisch geprägt an einem traditionellen Familienbildern festhalten wollen.
KITA-Anschubfinanzierung
Positiv zu bewerten in dieser Session ist, dass das Impulsprogramm zur Förderung von KITAs bis Ende 2026 verlängert werden konnte, obwohl das Geld knapp ist. Das laufende Impulsprogramm hatte bis Ende 2023 zur Schaffung von über 76’000 neuen Betreuungsplätzen beigetragen. Die Mehrheit hat nun mit 110 zu 76 Stimmen und 6 Enthaltungen für eine Verlängerung des Projekts um eine Periode (bis 2026) gestimmt.
Kulturbotschaft
Die Kulturförderung wird auch im Zahlungsrahmen 2025-2028 wie bis anhin fortgesetzt ohne nennenswerte Änderung. Ein Kürzungsantrag der Bürgerlichen um 6.5 Millionen im Bereich der Auslandsaktivitäten war umstritten und wurde glücklicherweise vom Ständerat verhindert. Der Nationalrat lenkte letztendlich mit 106 zu 79 (2 Enthaltungen) ein.
Fazit:
Die Session lässt mich einmal mehr mit gemischten Gefühlen zurück. Dieses 1. Jahr der Legislatur zeigt deutlich, dass der Nationalrat sich nach Rechts bewegt hat, insbesondere auch die FDP und die Mitte. Die Entscheide gehen oft gegen die Schwächsten, die Angst um den Wohlstand geht um und die Armee hat Aufwind wie im letzten Jahrhundert. Für Zukunftsprojekte im Bereich Gesellschaft, Menschenrechte, Klima oder Biodiversität hat es keine Ressourcen. Das Geld wird eingesetzt für Infrastruktur und Armee. In der Wintersession in der Budgetdebatte wird es dann ums Eingemachte gehen.
Und zum Schluss eine emotionale Verabschiedung: Nach 11 Jahren im Rat hat sich Martina Munz verabschiedet. Für mich ist Martina die fleissigste, unerschrockenste Politikerin überhaupt. Sie reisst eine Lücke in die Fraktion, die nicht zu schliessen sein wird. Ich kann nur sagen: Merci Martina für alles!
Herzliche Grüsse und eine schöne Herbstzeit!
Claudia Friedl